Theaterstück „Child Survivors“ und Podiumsdiskussion zur Erinnerungskultur anlässlich 80 Jahre Befreiung
Das Roma Center hat im Kontext der Veranstaltungsreihe des Bündnis 27. Januar zum Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus zwei Veranstaltungen mit der Theaterwerkstatt Göttingen organisiert. Die Theaterwerkstatt hat jeweils am 26. und am 27. Januar mit ihrem Stück Child Survivors dem Publikum die Geschichten von zehn Menschen näher gebracht, die das Konzentrationslager Bergen-Belsen in ihrer Kindheit überlebt haben. Die von den Schauspieler:innen vorgetragenen und in Installationen präsentierten Texte entstammten Interviews und autobiografischen Angaben der Überlebenden, darunter auch der bekannten Roma-Künstlerin Ceja Stojka, die nicht nur Bergen-Belsen, sondern auch Ravensbrück und Auschwitz überlebt hat.
Das Stück beeindruckt durch die betont sachliche und schlichte Erzählung aus Sicht der Kinder und der aus ihnen gewordenen Erwachsenen über den Lageralltag, von der Alltäglichkeit des Sterbens, des Hungerns und der Gewalt. Jenseits von künstlichem Kitsch und unnötiger Emotionalisierung schafft das Stück Empathie für die Opfer, indem sie selbst zu Wort kommen und so die Macht über die Erzählung bei ihnen belässt.
Neben den autobiografischen Narrativen erfahren die Besucher:innen durch das Stück auch en passant wie die Situation im KZ Bergen-Belsen war, ohne dabei von Fakten-Details überfordert zu werden. Das Stück eignet sich somit sehr gut für Jugendliche, die bisher wenig Wissen zur NS-Zeit haben. Die Vorstellung am 27. Januar, dem 80. Jahrestag der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau, richtete sich denn auch an Schulklassen und war schon sehr schnell komplett ausgebucht. Wir freuen uns, dass Lehrkräfte das Angebot angenommen und ihren Schüler:innen ermöglicht haben, diese Form der politisch-historischen Bildung zu erleben.
Im Anschluss an die Aufführung hatte das Roma Center zur Podiumsdiskussion vier Gäste eingeladen, um über die Themen des Stücks und eine lebendige Erinnerungskultur zu sprechen – gerade auch vor dem Hintergrund der aktuellen politisch-gesellschaftlichen Herausforderung, nämlich der Normalisierung rechtsextremer Positionen bis weit in die Mitte der Gesellschaft hinein.
Thematisiert wurde das rituelle Zelebrieren an Gedenktagen als „totes Gedenken“. Es steht im Kontrast zu einer lebendigen Erinnerungskultur, die in Frage stellt, die Bezüge zum Heute herstellt, die die vielfältigen Stimmen der Überlebenden und ihrer Nachkommen repräsentiert, die die Instrumentalisierung von Opfergruppen kritisiert und Opferhierarchien zwischen den verfolgten Gruppen herstellt, um Solidarität zwischen ihnen zu untergraben. Der Bezug zum Heute umfasst auch ganz wesentlich die Benennung der Kontinuitäten, die bis heute fortbestehen. Vielfach wird der Umgang mit Sinti und Roma nach dem Krieg als „Zweite Verfolgung“ bezeichnet, was von Selbstorganisationen kritisiert wird, da es sich vielmehr um eine „kontinuierliche Verfolgung“ gehandelt habe.
Ein zentraler Punkt war die Rolle von Medien und Kunst in der Erinnerungskultur. Neben Theater ging es hier insbesondere auch um den filmischen Umgang mit dem Thema. In Deutschland ist einerseits sehr stark geprägt von der Dämonisierung der Täter, die nicht geeignet ist, die Macht der Nazis in den Köpfen der Menschen zu brechen, und andererseits von der Heroisierung deutscher Widerständler:innen, die die Norm von Mitläufertum und Täterschaft unterminieren. Hier wäre es notwendig, mit anderen Mittel zu arbeiten: nämlich zum einen die Täter der Lächerlichkeit preisgeben, um sie zu entmystifizieren und gleichzeitig auch den Widerstand der verfolgten Gruppen in den Vordergrund zu rücken wie es etwa in jugoslawischen Filmen über den Kampf der Partisan:innen geschah. Jüdische Menschen, Roma und Sinti haben als Widerstandskämpfer:innen, als Rotarmist:innen, als Partisan:innen, als Mitglieder der alliierten Armeen sowohl gegen ihre eigene Vernichtung gekämpft als auch einen wesentlichen Beitrag zur Befreiung Europas geleistet. Das zu erinnern, ist heute wichtiger denn je.
Wir bedanken uns herzlich bei der Theaterwerkstatt für die Inszenierung ihres Stücks Child Survivors und die spannende Diskussion mit Jannes Walter von der jüdischen Hochschulgruppe/ Verband jüdischer Studierender Nord, Ricardo Tietz vom Landesverband deutscher Sinti und der Niedersächsischen Beratungsstelle für Sinti und Roma, Kenan Emini vom Roma Center und Bundes Roma Verband sowie Dr. Akim Jah von der Gedenkstätte Bergen-Belsen.