Roma-Schauspielerin und Regisseurin Alina Șerban: Den Samen des Guten in die Welt bringen

Alina Șerban

Alina Șerban

Roma-Schauspielerin und Regisseurin Alina Șerban: Den Samen des Guten in die Welt bringen

Alina Șerban ist eine Roma Film- und Theaterregisseurin, Schauspielerin, Autorin, und Aktivistin. Sie wurde am 29.10.1987 als Tochter einer Roma-Familie geboren und wuchs im rumänischen Bukarest auf.

Als sie 8 Jahre alt war verlor die Familie ihr Zuhause und musste bei der Familie des Vaters unterkommen. Armut und Diskriminierung waren für die Heranwachsende stetige Begleiter. Schlimmer wurde es zusätzlich dadurch, dass Alina ihre Jugend im Kinderheim verbringen musste, als ihre Mutter eine Haftstrafe erhielt. Trotz der großen Widrigkeiten schaffte sie es jedoch, ihre Schule erfolgreich abzuschließen und als erste in ihrer Familie ein Hochschulstudium zu absolvieren.

Sie begann ihr Schauspielstudium an der Akademie für Theaterkunst und Kinematografie in Bukarest und ging dann weiter an die Tisch School of the Arts in New York, um schließlich als Stipendiatin einen Master-Abschluss an der Royal Academy of Dramatic Art in London zu erwerben. Auch als Studentin lebte sie in ärmlichen Verhältnissen: 2012 erhielt sie den Preis “Best Romanian Student in the UK”, aber sie konnte sich die Kosten für die Reise von London nach Edinburgh nicht leisten, so dass sie den Preis nicht persönlich in Empfang nehmen konnte. Das alles hielt sie jedoch nicht davon ab, zur Pionierin des politischen Roma-Theaters zu avancieren.

Als professionelle Schauspielerin hat Șerban zunächst in zahlreichen Shakespeare-Stücken von Philip Parr mitgewirkt (u. a. Périclès, Prince of Tyre) sowie in Produktionen, die auf europäischen Theaterfestivals präsentiert wurden (Turfed, The House Project, The Sun That Casts No Shadows). Sie spielte an der Seite von Benedict Cumberbatch in der BBC-Fernsehserie The Last Enemy und debütierte auf der Kinoleinwand mit einer Nebenrolle in Written/Unwritten, einem Kurzfilm, der mehr als 20 Preise gewann. Heute gilt sie als die erste weibliche Roma-Regisseurin Rumäniens

Șerban ist bekannt für das Schreiben und Aufführen von Stücken mit Botschaften der sozialen Gerechtigkeit, gegen Sexismus, Rassismus, Homophobie und verschiedene andere Formen der Diskriminierung, denn für sie ist die Kunst eine Waffe im Kampf gegen Mehrfach-Diskriminierung.

Im März 2014 wurde die Schauspielerin so zum Street Child World Cup eingeladen, um in der Royal Albert Hall vor 2000 Menschen eine Rede zugunsten der Rechte und des Schutzes von Straßenkindern weltweit zu halten. Ihr Engagement für Kinder geht auch über reinen Aktivismus hinaus. So veröffentlichte sie 2016 die erste Sammlung von Roma-Märchen in Rumänien, die ihr selbst als Kind von ihrer Tante Veta erzählt worden waren.

Als Dramatikerin war Șerban auch eine Pionierin des feministisch-politischen Theaters in Rom und hat im Alter von 29 Jahren bereits drei Stücke geschrieben.
Den Anfang machte sie 2009 mit Slumdog Roma (später umbenannt in I Declare at My Own Risk), einer ergreifenden und oft witzigen One-Woman-Show, in der sie von ihrem Lebensweg als junge Romni erzählt: “Ich wollte mit dem Stück meine Sicht der Dinge in der Gesellschaft zum Ausdruck bringen, ehrlich zu mir selbst sein und mir erlauben, vor den Leuten verletzlich zu sein, indem ich sage: “So war ich, seht, woher ich komme, und wer ich jetzt bin”, sagte Alina dazu in einem Interview. Die Wirkung auf das Publikum war nachhaltig: “Sehr selten treffe ich auf jemanden, der wie ein aufsteigender Stern ist, eine Kraft, die hell leuchtet, unaufhaltsam ist und auf jeden wirkt, der sie sieht. Ich habe die One-Woman-Show von Alina Şerban in Bukarest gesehen und sie war amüsant, prägnant und unsentimental. Es wirkte authentisch und vermied es, die Situation der Roma zu moralisieren.”, so Rupert Wolfe-Murray von der Huffington Post in seiner Besprechung des Stücks.

In ihrem zweiten preisgekrönten Stück aus dem Jahr 2013 ging es um den Begriff “Heimat” – ein Theaterstück, das die Geschichte verschiedener Einwanderer erzählt, die im Vereinigten Königreich ein besseres Leben suchen.

Drei Jahre später schrieb und inszenierte sie The Great Shame, Rumäniens erstes Stück über das Tabuthema der Roma-Sklaverei: Fünf Jahrhunderte lang wurden Roma in Rumänien versklavt. Obwohl die Sklaverei vor 160 Jahren offiziell endete, haben Hunderttausende ihrer Nachkommen noch heute mit dem Stigma zu kämpfen, das sie hinterlassen hat. Alina Şerbans Lebenserfahrungen als Romni motivierten sie dazu, die Plattform The Untold Stories zu gründen, die darauf abzielt, das Schweigen zu beenden. Auch im Zuge der Aufführungen von The Great Shame musste sie sich gegen Zensur zur Wehr setzen und umging kreativ die Auflagen der rumänischen Institutionen.
2018 hatte sich das Blatt gewendet, und sie wurde als erste Roma-Regisseurin mit einem Stück in das ständige Repertoire eines staatlichen Theaters in Rumänien aufgenommen.

Außerdem spielte sie die Hauptrolle und wirkte als Drehbuchberaterin bei drei europäischen Filmprojekten mit, die sich mit den Erfahrungen von Romnja befassen: Written/Unwritten, Marta Bergmans Alone at My Wedding und Gipsy Queen. Alone at my Wedding war ihre erste Hauptrolle im Kino. Die Premiere war 2018 bei den Internationalen Filmfestspielen von Cannes. Die Rolle brachte ihr mehrere Auszeichnungen als beste Schauspielerin ein.

In Gipsy Queen spielt Alina Şerban die Rolle einer alleinerziehenden Romni in Deutschland, die versucht, sich und ihre beiden Kinder durch Boxkämpfe finanziell über Wasser zu halten. Für ihre herausragende schauspielerische Leistung erhielt sie den Preis für die beste Darstellerin beim Tallinn Black Nights Film Festival 2019, den Preis für die beste Darstellerin bei den German Actors Guild Awards und wurde für den Preis der Deutschen Filmakademie – LOLA nominiert.

Heute lebt sie zwischen Bukarest, London und verschiedensten Drehorten. Ihre Arbeit wird weiterhin von einem starken Sinn für soziale Gerechtigkeit angetrieben, dem Wunsch, Vorurteile und Privilegien zu hinterfragen, und dem Bedürfnis, etwas Gutes in die Welt zu pflanzen: “Ich möchte Geschichten erzählen, die auch nur den kleinsten Samen des Guten in die Welt bringen. Das ist der Grund, warum ich tue, was ich tue.”