Małgorzata Mirga-Tas: Die Wiederverzauberung der Welt aus romni-polnischer Perspektive
Małgorzata Mirga-Tas:
Die Wiederverzauberung der Welt aus romni-polnischer Perspektive
Auf der letztjährigen 59. Biennale in Venedig ist zum ersten Mal eine Roma-Künstlerin die Vertreterin eines nationalen Pavillons: Małgorzata Mirga-Tas, eine polnische Romni aus der Bergitka-Community, bestellt unter dem Titel „Re-enchanting the World“ den polnischen Pavillon. Dass ein nationaler Pavillon Roma-Kunst zeigt, ist ein großer Schritt für die Sichtbarkeit der stark unterrepräsentierten Roma-Kultur und ihrer Verknüpfung mit Europa.
Małgorzata Mirga-Tas hat hierfür zusammen mit ihrem Team zwölf raumfüllende Wandtafeln erstellt, die nach dem Vorbild des Palazzo Schifanoia in Ferrara den Jahreszyklus darstellen. Auf ihnen bildet sie Alltagsszenen aus ihrer Roma-Community ab, gepaart mit astrologischen und mythischen Elementen.
Ihr eigener Stil entsteht durch eine Mischtechnik von gemaltem Bild und Patchwork, indem sie Stoffe, Pailletten, Federn, Spielkarten und weitere Elemente als Applikationen auf ihre Bilder aufträgt. Viele der Stoffe die sie verwendet, stammen von der Kleidung der abgebildeten Menschen und erzählen somit von der Vielschichtigkeit und den Lebenszyklen der Materialien, nicht zuletzt als Spiegel der abgebildeten Menschen selbst: “Die Stoffe, Kleider und Vorhänge, aus denen ich Porträts nähe, sollen ihnen zusätzliche Energie und Kraft geben. Ich sammle Dinge, die mir von Frauen aus meiner Familie, aus Roma-Vierteln und von Freunden geschenkt werden. Manchmal kaufe ich sie auch in Second-Hand-Läden. . . Ich kann das Leben in ihnen sehen; ich sehe Emotionen und Gefühle. Aus der Kleidung dieser oder anderer Roma-Frauen genähte Porträts verleihen ihnen Spiritualität und Magie.”
Die Co-Kuratorin des polnischen Pavillons Joanna Warsza sagt über ihr Werk, dass es reparierend sei, wie die Arbeit mit Nadel und Faden an sich. Repariert werden kann die Außenwahrnehmung der Roma-Communities, aber auch ihre Einfügung in das europäische Gesamtgebilde. Die Tafeln von Małgorzata Mirga-Tas sind in diesem Kontext auch als Gegenentwurf zum Werk von Jacques Callot aus dem 17. Jahrhundert zu verstehen, in dessen Radierungen die Roma stereotypisierend als Bettler- und Räubervolk dargestellt wurden. Es ist zudem auch für den falschen Mythos verantwortlich, sie hätten ihren Ursprung im alten Ägypten (siehe auch die Ausstellung “Out of Egypt”).
Mirga-Tas zeigt hingegen die Wertschätzung, die sie sowohl für den Roma-Anteil ihrer eigenen Kultur hegt, als auch für den polnischen und gesamteuropäischen Teil davon. Die Künstlerin lebt und arbeitet selbst in Czarna Góra, einem kleinen Dorf in der Nähe des Tatra-Gebirges – auf einer der Tafeln des Biennale-Pavillons ist sie selbst bei der Arbeit zu sehen, zusammen mit Familienmitgliedern, die ihr auch helfen, die Kunstwerke umzusetzen. Das Patchworken hat an sich ein erzählendes Element – in den Werken von Mirga-Tas entsteht das Narrativ um das Zusammenführen von Elementen, die auf den ersten Blick nicht zueinander zu passen scheinen und dann doch ein harmonisches Ganzes ergeben, analog gedacht zur Verbindung verschiedener kultureller Erbe.
Die politische und aktivistische Dimension ihres Werks ist Mirga-Tas seit ihrer Studienzeit ein Anliegen. Die 1978 in Zakopane geborene Künstlerin studierte an der Krakauer Kunstakademie, ihre künstlerischen Anfänge liegen in der Skulptur. Diese fertigte sie damals aus gestapelten Pappschichten an, welche sie mit Kettensägen und anderen Werkzeugen bearbeitete, um sie in surreale und ornamentale Gebilde voller Tier- und Pflanzenfiguren umzuwandeln. In ihrer Abschlussarbeit mit dem Titel “Caravan” beschäftigte sie sich mit dem Thema des reisenden Lebensstils und indirekt mit der historischen Bürde der erzwungenen Sesshaftigkeit.
Małgorzatas Stil und ihre Themen wandelten sich parallel zur Material- und Technikwahl, hin vom Allegorischen und Monochromen zum Bunten, Realistischeren, wobei sich auch der Fokus von der Gemeinschaft hin zu Individualportraits verlagerte. Die Gruppenkonstellationen in ihren Patchworks ergeben sich aus einer Vielzahl dieser detailverliebten Personenportraits. Dabei sind viele der abgebildeten Figuren bewusst weiblich – der Titel ihrer Biennale-Ausstellung ist auch an den Titel des Buches von Silvia Federici (2018) angelehnt, einem Referenzwerk der zeitgenössischen feministischen Literatur. Die Zukunftsvision, die sie mit der Autorin teilt, handelt von einem Shift hin zu mehr Kooperation und weniger Konkurrenz, mehr Anteilnahme und gegenseitigem Nähren.
Zu ihren Tätigkeiten gehört so auch Kunstpädagogik – zusammen mit der Fotografin Marta Kotlarska gab sie mehrere Jahre in Folge Workshops für Kinder in photografischen Techniken (“Romani Snap!”). Sie ist außerdem Mitbegründerin des Romani Arts Movement und des European Roma Institute for Arts and Culture in Berlin.
Von 2012 bis 2016 organisierte sie in ihrem Heimatdorf eine Serie von internationalen open air events unter dem Titel Jaw Dikh! (“come and see!”), welche Roma-Künstler:innen die Möglichkeit zum Netzwerken und Austausch bieten sollte.
Ihre Arbeiten beschäftigen sich allerdings auch mit den dunkelsten Seiten der Roma-Geschichte. Das Monument zum Roma-Holocaust, welches sie 2011 in Borzęcin Dolny errichtete, erinnert an die 29 Roma, die 1942 von den Nazis im dortigen Wald ermordet wurden. 2016 wurde das Monument Objekt von Vandalismus. Małgorzata Mirga-Tas nahm die Reste der Skulptur mit ins Atelier um daraus eine neue Auflage des Monuments zu schaffen, eine die auch auf den Vandalismus-Akt Bezug nimmt, indem die entstandenen “Wunden” am Holzkörper noch einmal besonders hervorgehoben wurden. Sie wählte dafür das Medium Wachs, weil dieses “realistischer als die Realität selbst” zu sein scheint.
Ihre 2021er Ausstellung “Out of Egypt”, die 2022 auch auf der documenta 15 in Kassel zu sehen war, beschäftigt sich mit der historisch tief reichenden Fremddarstellung der Roma als vertriebenem Volk von moralischer Zweifelhaftigkeit und räumt ironisierend mit den negativen Stereotypen auf und stellt die Selbsterfahrung von Roma in den Mittelpunkt: “Im Leben eines jeden Menschen gibt es ein Bedürfnis nach Magie und Verzauberung. Aber nicht immer – in bestimmten Momenten, sollten wir die Welt, Momente, Situationen, negative Gefühle und Paradigmen entzaubern. Ich wähle einige Themen aus, die mit der stereotypen und stigmatisierenden Darstellung der Roma zu tun haben, und versuche, sie zu entzaubern und zu entmythologisieren, indem ich die Art und Weise, wie wir gesehen werden, umkehre.”
Entsprechend erhielt sie 2020 den Preis für die beste polnische Künstlerin “Paszporty Polityki” mit der Begründung, dass ihre Kunst das Thema Identität und kulturelles Erbe effektiv in die Mitte der Gesellschaft trägt. Seit August 2022 ist sie Fellow im Berliner Künstler:innenprogramm des Deutschen Akademischen Austauschdienstes.
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