Landkreis muss Aufenthaltserlaubnis erteilen Flüchtlingsfamilie darf bleiben

Zehn Monate hat es gedauert; zehn Monate, in denen Hamdi H. mit Frau und vier Kindern Angst vor der Abschiebung haben musste. Jetzt hat die Flüchtlingsfamilie aus dem Kosovo, die in Deutschland vorbildlich integriert ist, endlich Gewissheit: Sie bleiben. Der Landkreis Göttingen muss ihnen eine Aufenthaltserlaubnis erteilen.

Das hat rechtskräftig das Oberverwaltungsgericht (OVG) Lüneburg entschieden. Im Januar schrieb das Tageblatt bereits über den Fall: „Ministererlass wirkt wie Abschiebung mit Trick“. Gemeint war ein Erlass des Innenministers, im Rahmen der sogenannten Altfallregelung Flüchtlingen, die alle Voraussetzungen erfüllen und hervorragend integriert sind das dauerhafte Bleiben nur dann zu gewähren, wenn sie einen gültigen Pass beibringen.

Das, so hatte damals das Verwaltungsgericht Göttingen entschieden, sei Hamdi H. unzumutbar.

Der Vorarbeiter mit fester Anstellung hätte viel mehr als seinen Jahresurlaub aufwenden müssen, um in das Kosovo zu reisen und einen Pass zu beantragen. Er hätte dafür zwei, drei Wochen benötigt und weitere Wochen auf Erteilung eines Visums warten müssen. Wenn er dann zurückgekehrt wäre, hätte er eine der wichtigsten Voraussetzungen seines Bleiberechtsanspruches verloren – den, dass er über viele Jahre ununterbrochen in Deutschland gelebt hat. Schlimmer noch: Er hätte mit Sicherheit seine Arbeitsstelle verloren, weil sein dreiwöchiger Urlaubsanspruch nicht ausgereicht hätte. Ohne Arbeit gibt es kein Bleiberecht.

Auch Landkreis-Dezernentin Christel Wemheuer (Grüne) sah das so. Sie schrieb damals an Innenminister Uwe Schünemann (CDU) und erbat eine Ausnahme – zumal in ganz Deutschland andere Länder bei gleicher Fallkonstellation so vorgehen, dass Bleiberechtskandidaten nicht ihre Ansprüche verlieren: Sie erhalten erst die Aufenthaltserlaubnis, liefern dann ihren Pass nach.

Statt einer Ausnahme vom Erlass gab es „auf dringendes Anraten des Innenministeriums“ eine Anfechtung des von Rechtsanwalt Bernd Waldmann-Stocker erwirkten und für H. günstigen Gerichtsbeschlusses. Doch jetzt lehnte das OVG die vom Landkreis angestrebte Berufung ab. Genau wie die Göttinger Kollegen halten auch OVG-Präsident Herwig van Nieuwland und seine Kollegen eine Arbeitsplatz gefährdende Reise zur Passbeschaffung für unzumutbar und zudem von „geringem öffentlichem Interesse“.

Mehr noch: Sie halten das Verlangen, durch einen neuen Pass aus dem Kosovo die Identität nachzuweisen, für überzogen. Denn schon 1999, bei der Einreise, hatte H. seinen Personalausweis vorgelegt. Dass dieser von der nicht mehr existierenden Republik Jugoslawien ausgestellt war und inzwischen abgelaufen ist, begründe jedenfalls keine Zweifel an der Identität H.s. Weil H. zudem vor seiner Flucht vor dem Bürgerkrieg im Kosovo lebte, gebe es auch keine Zweifel an seiner heute kosovarischen Staatsangehörigkeit. Deshalb muss der Landkreis die Aufenthaltserlaubnis erteilen und zugleich Ausweisersatz stellen.

Den Ministererlass, in dem grundsätzlich die Beschaffung eines Passes gefordert wird, führen die Richter ganz nebenbei ad absurdum: Zwar sei die Passbeschaffung zumutbar, aber nicht immer. Zur Klärung der Identität sei die Staatsangehörigkeit ohne Belang, und eine geklärte Staatsangehörigkeit sei auch gar nicht immer Voraussetzung für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis.
Die dem Ministerium offenbar so wichtige Frage, ob eine mehrwöchige Ausreise zur Passbeschaffung als Unterbrechung des geduldeten Aufenthalts zu gelten hat, beantwortete das OVG gar nicht. Damit bleibt umstritten, ob Niedersachsen als einziges Bundesland die Menschen, die hier bleiben dürfen, wirklich erst ins Heimatland schicken muss, um sie dann erst hier zu dulden.

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