Interview mit Drita Jakupi. Künstlerin, Therapeutin, Aktivistin

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Interview mit Drita Jakupi. Künstlerin, Therapeutin, Aktivistin

Hallo Drita. Schön, dass du uns ein Interview gibst. Erzähl uns doch ein bisschen von dir – wo kommst du her, was machst du?

Danke, dass ihr mich gefragt habt. Gerne nehme ich am Interview teil. Ich bin 30 Jahre alt und gebürtig aus Duisburg-Hochfeld. Meine Eltern kommen aus Mazedonien und sind hier kurz vor dem Balkankrieg und Mauerfall nach Deutschland eingewandert.

Du bist künstlerisch aktiv. Wie hast du zur Kunst gefunden? Was inspiriert dich?

DritaXWie ich zur Kunst gekommen bin, kann ich so nicht beantworten. Ich weiß nur, dass die Kunst mich in meiner Kindheit ziemlich früh gefunden hat. Die Kunst war das Instrument, was mir kein Mensch geben konnte außer ich mir selbst. Ich sehe die Kunst als eine Quelle, aus der ich jederzeit schöpfen kann und sie existiert im Überfluss. Sie ist für alle genug da. Meine Kunstform ist das Malen, damit befreie ich meine Emotionen, welche ich nicht verbalisieren kann, welche sich nicht verbalisieren lassen. Meine Welt ist metaphorisch. Sogar meine Sprache formuliere ich sehr oft metaphorisch. In Bildern zu denken, zu schreiben, zu sprechen ist heilsam für mich. Die Farben, die ich male, gehören nicht mir, ich nutze sie, um mich seelisch zu reinigen. Sehen wir es als Dusche oder Katharsis an. Was mir gehört, sind die Formen und Striche. Die Bewegung meiner Malerei ist Ausdruck meiner Psyche. Ich halte wenig von Genre und Kategorien. Meine Kunst bedient sich aller Kunstrichtungen. Aus allen erschaffe ich mein Unikat. Und gleichzeitig ist meine künstlerische Einzigartigkeit nicht mein geistiges Eigentum. Kunst ist frei und meine Ideen existieren in den Herzen und Köpfen anderer Künstler_innen. Unser Ego meint zu glauben, dass was wir produzieren, einen einzigen Besitzer haben darf. Jedoch ist und bleibt Kunst eine Quelle. Ein Mensch kann sie nicht allein nur für sich besitzen. Durch Kunst habe ich das Lieben erst gelernt. Liebe ist Kunst, weil wir durch sie uns selbst frei von Konstrukten und Identitäten lernen zu verstehen. Mich inspiriert der Leidensprozess dahinter, der Katalysator der Kunst, emotionaler und mentaler Schmerz sind unsere Leinwände. Kunst ist der Prozess, durch den wir die Farben unserer positiven und negativen Emotionen in künstlerischen Farben sichtbar umwandeln.

Was machst du sonst beruflich und wie bist du dahin gekommen? Warum hast du dich für diesen Weg entschieden?

Durch meine persönliche Heilung und Traumaverarbeitung kam ich zu der Erkenntnis, dass ich mich zur systemischen Familien- und Traumatherapeutin ausbilden lassen will. Ich hatte die Wahl, meinen Master in Humanitärer Hilfe an der Ruhr-Uni-Bochum zu machen oder die berufliche Weiterbildung in Traumatologie zu absolvieren. Das Zweite ist meine wahre Berufung.Ich arbeite seit Januar 2020 als systemische Familien- und Traumatherapeutin in Duisburg. Mein Ziel ist es, mich selbstständig zu machen und ein eigenes Traumazentrum und eine Beratungsstelle für europäische Rom*nja in Deutschland zu öffnen, für die, welche traumatisiert sind und aufgrund strukturellem und institutionellem Rassismus sich nicht helfen lassen können oder über diese Option nicht Bescheid wissen, weil ihnen diese Information aus kumulativen Faktoren verwehrt bleiben. Eine Fusion mit der BPoc-Community ist eine Notwendigkeit. Black Lives Matter ist ein fundamentaler Grundstein für die Arbeit, die ich individuell sowie kollektiv verfolge. Ohne die Black Community ist eine gerechte Behandlung, Beratung und Heilung traumatischer Erlebnisse für unsere Roma- und Sinti-Community unvollständig. BPoc miteinzubeziehen ist das Alpha und Omega, um unsere Gesellschaft, die rassistisch sozialisiert und traumatisiert wurde, zu sensibilisieren, aufzuklären und uns safe spaces zu ermöglichen. Dadurch können wir offen und selbstsicher über unseren Heilungsprozess sprechen.

Du bist in deinem Leben auch viel gereist. Magst du uns erzählen, was dein Ziel in New York City war?

Die Reise nach NYC war ein Privileg für mich. Ich wurde vom Verein Roma People Project eingeladen. Die Gründerin Cristiana Gregori wurde auf mich durch meine Arbeit als Projektkoordinatorin in Berlin aufmerksam, als ich für die Stiftung Denkmal und das Bündnis für Solidarität mit den Sinti und Roma Europas 2017-2018 gearbeitet habe. Durch meinen neuen beruflichen Weg als systemische Trauma- und Familientherapeutin 2019 kam die Zusammenarbeit zustande. Mir wurde angeboten, in der Columbia University einen sozial-politischen Vortrag über mein Konzept zum Haus europäischer Roma im Ruhrgebiet und meine Einstellung zum Thema Antiziganismus vs. Romaphobie, zu präsentieren. Es war eine bereichernde Erfahrung für mich. Die amerikanische Roma und Gypsy Traveller Community kennenzulernen und Parallelen sowie Diskrepanzen zu erkennen, sind Gold wert. Bis heute pflege ich den Kontakt zu den Roma-Aktivisten. Mit beiden erarbeiten wir ein transnationales Roma-Projekt, wo europäische Rom*nja und amerikanische Gypsy-Traveller sich neu begegnen und austauschen können. Perspektivenwechsel und De-sensibiliserung sind Elemente, die ich dort neu lernen durfte.

Du warst auch in Jerusalem. Wie hast du die dortige Roma-Community erlebt?

Als ich die Domari-Community* in Jerusalem kennenlernen durfte, wurde mir bewusst, wie heterogen wir weltweit in Wirklichkeit sind. Und dass wir uns in einem Punkt immer wieder begegnen: strukturelle Diskriminierung. Der strukturelle Rassismus in Jerusalem gegenüber der Domari-Community ist multi-dimensional. Die Interviews, die ich mit ihnen führen durfte, zeigten mir, dass sich die Dom selbst als Jerusalemer identifizieren und nicht als Israelis oder Palästinenser. Der Umgang mit der Dom-Community erlebte ich als dehumanisierend. Der institutionelle Rassismus, den sie erleiden durch die ungerechte Aufteilung und den fehlenden Zugang, ist ihre Realität. Wir hoffen, dass eine Zusammenarbeit auf sozialer sowie politischer Ebene funktioniert.

Was sind deine aktuellen Pläne für eine weitere Zusammenarbeit mit der Dom-Community in Jerusalem?

Aufgrund der Corona-Pandemie war es dieses Jahr leider nicht möglich, ein gemeinsames Konzept mit der Domari-Community in Jerusalem zu erstellen und umzusetzen. Die Absicht war es, dass wir freischaffende Roma-KünstlerInnen aus dem Ruhrgebiet mit den Domari aus Jerusalem verbinden und mithilfe der Roma-Selbstorganisationen in Deutschland eine Plattform erschaffen, wo wir unsere Parallelwelten und Lebenserfahrungen aus Israel und Deutschland gegenüberstellen und vergleichen. Diese können durch europäische Fördermittel unterstützt werden. Ein Projekt, welches uns bewusst sichtbar, hörbar und erkennbar macht. Eine transnationale Solidarität, die uns beweist, dass wir uns selbst verwirklichen können, indem wir uns gegenseitig erkennen und helfen lassen. Das ist ein klarer gesunder Schritt. Ich bezeichne diese Idee als transformativ und heilsam für unsere transgenerativen Traumata, die Roma weltweit bis heute erleben, ob bewusst oder unbewusst. Wir haben die Macht und das Privileg hier in Deutschland, diese Wege einzuleiten und uns kollektiv eine gesündere Welt zu bilden.Es ist an der Zeit, dass wir unsere Narrative selbst verfassen, erzählen und uns nicht mehr fremdsteuern.

Jerusalem

Was muss aus deiner Sicht passieren, damit sich die Situation von Roma allgemein verbessert?

Unsere Handlungen und Widerstände der Roma-Community ändern einen relevanten Teil des Systems. Wenn das System jedoch uns als Ethnie kollektiv entmenschlicht, beeinflusst es weiterhin Roma-Generationen. Die Politik in Deutschland ist durch die überdurchschnittliche Repräsentation des rechtsradikalen und rechtspopulistischen Spektrums, sei es in den Medien oder in den Institutionen, massiv gespalten und manipuliert. Die wahren Geschichten der Roma und Sinti sind bis heute nicht in unserem Bildungssystem ganzheitlich integriert.Das muss sich ändern. Das Konstrukt des Z. stammt aus dem Vokabular der Gadje und wird bis dato bewusst gegen uns verwendet. Weniger Privilegierte erleben dadurch eine dehumanisierende Realität mit fatalen Folgen, wenn wir nicht klare pro-roma Strukturen in Bewegung setzen und aktiv handeln. Das weiß-privilegierte Spektrum hat die menschliche Verantwortung, uns manipulationsfrei darzustellen, unsere sozialen Umständen nicht zu ethnisieren oder als eine Bedrohung zu präsentieren. Wenn wir als diskriminierte ethnische Minderheiten unsere transgenerativen Traumata weiterhin verstecken und unterdrücken müssen, ist eine soziale Integration nicht realisierbar. Assimilierung ethnischer Minderheiten war damals und ist heute noch eine politische Strategie und versteckt sich unter dem Deckmantel ‚Integration‘. Das Gesetzessystem müsste sich fundamental verändern, damit die aktuelle soziale Inklusion ein gerechtes Gewicht für Rom*nja erhält. Die Option, dass die Welt veränderbar ist und wir uns menschlich selbst befreien können, wird erst durch eine humane Bildung, Selbstwirksamkeit und Selbstreflexion realisierbar. Der Schlüssel ist somit das Bildungssystem. Das europäische und globale Weltbild muss uns heilen lassen. Wir müssen erst lernen unsere Selbstermächtigungsprozesse frei von fremdgesteuerten Bildern und Gadje-Geschichten zu erkennen.Doch dafür erfordert es einen offenen Raum des gemeinsamen Denkens und Lernens. Dies bildet das Fundament eines demokratischen und solidarischen Gemeinwesens. 2020 zeigt erneut wie notwendig dies ist.

*Dom/ Domari sind die Roma in den Ländern des Nahen Ostens.

Roma in Society. Reloaded
Ein Projekt des Roma Centers, gefördert von Demokratie leben!