Geflüchtete Roma aus der Ukraine in Polen Ein Reisebericht des Roma Centers

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Am 26. April fährt die Delegation des Roma Centers in Göttingen los und kommt um 3 Uhr morgens in Krakau an. Nach wenigen Stunden Schlaf treffen wir uns mit der Vorsitzenden und weiteren Ehrenamtlichen der polnischen Roma-NGO Harangos. In einem Hostel haben sie mehr als 100 Roma, überwiegend Frauen und Kinder, untergebracht, die aus der Ukraine geflohen sind und von den offiziellen Unterstützungs-Strukturen komplett im Stich gelassen wurden.

Nachdem wir von ihrer desolaten Situation erfahren hatten, haben wir mit mehreren Roma-Organisationen einen Spendenaufruf* gestartet, um die Menschen zu unterstützen. Nun wollen wir die Spenden verteilen und mit den Menschen sprechen.

In Polen sind aktuell etwa drei Millionen Geflüchtete aus der Ukraine. Die Solidarität mit den flüchtenden Menschen ist überwältigend. Allerdings: Wie wir sowohl von den geflüchteten Romnja selbst als auch von den Roma-NGOs vor Ort erfahren, schwindet die Hilfsbereitschaft sehr schnell, wenn es sich bei den Geflüchteten um Roma handelt. Sie sind vielfach unerwünscht und werden benachteiligt. Viele bleiben sich völlig selbst überlassen, bekommen keine Lebensmittel, keine Unterkunft. Es ist ein offensichtlicher Rassismus. Viele Roma-NGOs haben diese Zustände mittlerweile öffentlich deutlich kritisiert, jedoch ändert sich nichts an der Situation.

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In Krakau unterstützen die Leute von Harangos und anderen Roma-Vereinen die im Stich gelassenen Romnja. Ihre Unterbringung und Verpflegung ist komplett von Spenden abhängig, die Miete für das Hostel wird noch bis zum 13. Mai von einem amerikanischen Sponsor getragen. Wie es danach weitergeht, wissen sie noch nicht. Obwohl die Frauen sich längst bei den Behörden registriert haben, bekommen sie nach wie vor keine staatliche Unterstützung. Auch die Kolleg:innen von Harangos, die nicht nur die Menschen im Hostel unterstützen, sondern auch geflüchtete Romnja in staatlichen Unterkünften, machen diese Arbeit ehrenamtlich.

Als wir sie besuchen, wohnen im Hostel etwa 100 Menschen, überwiegend Romnja und Kinder sowie ein paar Männer. Am Tag vor unserer Ankunft gingen zehn Personen aus der Unterkunft zurück in die Ukraine, da sie gehört hatten, es sei jetzt besser dort. Die meisten Romnja im Hostel stammen aus der Oblast Donezk sowie Žitomir. Manche erzählen uns, dass sie Häuser hatten, die zerbombt wurden.

Alle Romnja erzählen, dass ihre Männer und Väter einberufen wurden. Sie sind bei der ukrainischen Armee oder beschützen ihre Dörfer. Gehalt bekommen sie dafür nicht. Daher müssen die Frauen ihre Familien in der Ukraine finanziell unterstützen. Auch deswegen sind in erster Linie Geldspenden wichtig. Die Frauen haben kaum Möglichkeiten, zu arbeiten. Viele sind auch bereits im fortgeschrittenen Alter und gesundheitlich eingeschränkt.

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Nur wenige Männer dürfen aktuell das Land verlassen. Eine Ausnahme sind Familien mit mindestens vier Kindern – da darf auch der Vater mit ausreisen. Ob man sie dann an der Grenze tatsächlich ausreisen lässt, steht auf einem anderen Blatt. Vielfach haben wir mitbekommen, dass Roma nicht über die Grenzen gelassen werden. Einer, der es geschafft hat, ist Sergej. Er ist der einzige unter den wenigen anwesenden Männern, der nicht alt oder krank ist. Mit einem Teil der Kinder ist er in Krakau, während seine Frau mit den beiden anderen Kindern zurück in die Ukraine gefahren ist, da jemand in der Familie gestorben ist. Ein anderer, der ausreisen konnte, ist Dima, ein junger Mann, der mit seiner Mutter geflohen ist. Er kann sich nur mühsam bewegen und bräuchte dringend eine Operation.

Auch manche Frauen sind krank. Tatjana hat Krebs und ist ganz allein. Auch Marija bräuchte dringend eine Behandlung der Schilddrüse. Zwei Frauen erzählen, dass sie schwanger sind. Bei einer von ihnen sieht man es schon deutlich. Frauen fangen an zu weinen, als sie mit uns über ihre Erlebnisse und ihre Situation sprechen. Sie haben Traumatisches erlebt und bräuchten nicht nur medizinische, sondern auch psychologische Hilfe.

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Sie erzählen von den zerstörten Häusern, von getrennten Familien, von Getöteten. Der Krieg, der Verlust ihres Zuhauses und ihres Eigentums, sind nicht die einzigen Traumatisierungen, die flüchtende Roma erleben. Viele der Hostel-Bewohner:innen berichten, dass sie Gewalt nicht nur von der russischen Armee erlebt haben, sondern auch von ihren eigenen Landsleuten. Eine Familie berichtet, der Bürgermeister ihrer Gemeinde in der Oblast Donezk habe den Roma verboten, ihre Sprache zu sprechen und dass Soldaten des Azov-Regiments Roma geschlagen hätten. Auch andere erzählen von Gewalt durch weiße Ukrainer:innen – Angehörige der Armee ebenso wie Zivilist:innen. Im Westen des Landes rauben Azov-Leute Roma und Organisationen auf dem Weg nach Lviv aus. Uns wurde dringend davon abgeraten, ohne schwer bewaffnete Security dorthin zu fahren.

Viele Frauen, mit denen wir gesprochen haben, möchten in Polen bleiben, weil sie denken, dass es wegen der sprachlichen Nähe für sie dort einfacher ist. Kaum eine möchte nach Deutschland. Viele betonen, wie wichtig es ihnen ist, möglichst schnell Arbeit zu finden, um ihren Familien Geld zu schicken. Der wichtigste Grund aber ist: Sie möchten in der Nähe ihrer Familien in der Ukraine bleiben. Für uns ist es daher auch wichtig, diese Kontakte zu knüpfen, um die Familien in der Ukraine direkt zu unterstützen. Aus unserer Sicht ist es derzeit am sinnvollsten, den Menschen mit Geld zu helfen. Die Spendenkammern laufen über vor Klamotten und Spielzeug. Gleichzeitig bekommen die Roma jedoch nichts ab oder nur das, was nicht mehr trag- oder benutzbar ist.

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Diese Situation spiegelt sich auch in der offiziellen Unterkunft für Geflüchtete aus der Ukraine, in die die Leute von Harangos uns am nächsten Morgen begleiten. Dort sind überwiegend weiße Ukrainer:innen untergebracht, jedoch auch einige Romnja mit Kindern aus der Oblast Mykolajiv im Süden der Ukraine, nicht weit von Odessa. Wir treffen uns mit den Romnja draußen. Sie erzählen uns, dass die Gadje alles nehmen und sie nur bekommen, was übrig bleibt. Sie bekommen zu wenig zu essen. Eine spanische Roma-Organisation kam wenige Tage vor uns mit einem LKW voll Hilfsgüter, die sie – angeblich wegen der erhöhten Terrorstufe in Polen – nicht annehmen durften. Das bedeutet: Wir können keine Nahrung und andere dringend benötigte Dinge zu den offiziellen Unterstützungsstrukturen bringen. Also auch hier sehen wir wieder, es sinnvoller, ihnen Geld zu geben, damit sich die geflüchteten Romnja kaufen können, was sie brauchen.

Zu dieser staatlichen Unterkunft dürfen wir nur nach vorheriger Anmeldung. Die Security ist sehr unfreundlich zu uns. Nach längerer Diskussion mit den ihnen bekannten Leuten von Harangos lassen die jungen Männer schließlich zwei von uns in das Gebäude, um die Unterkunft zu besichtigen. Fotos zu machen oder gar zu filmen, wird uns untersagt. Die Security verfolgt uns auf Schritt und Tritt. Alle Geflüchtete schlafen gemeinsam in einer Sporthalle. Aktuell sind es etwa 160 Menschen, vor kurzem waren es noch 200. Die Romnja haben ihre Etagenbetten mit Decken abgehängt, um sich etwas Privatsphäre zu schaffen. Es gibt nur eine Dusche für die gesamte Unterkunft und ein kleiner Speiseraum mit Essensausgabe.

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Das waren die schwersten anderthalb Tage unseres Aufenthalts in Polen. Wir haben viel erfahren vom Schmerz der Menschen, von ihrer Not, von Krieg, Flucht und Rassismus. Erlebt haben wir aber auch die Solidarität und die gegenseitige Unterstützung der geflüchteten Romnja und ihr Wille, ihre Familien zu versorgen.

Wie unsere Reise weitergeht, wissen wir in diesem Moment noch nicht.

Nachdem wir uns kurz erholt haben, diskutieren wir die Weiterfahrt und beschließen, Richtung Ukraine zu fahren. Krakau liegt im Süden Polens, in der tschechisch-slowakischen Grenzregion. Bis zur ukrainischen Grenze sind es noch knapp 300 Kilometer. Unterwegs essen wir in einem Imbiss an der Autobahn. Dort tummeln sich unzählige Polizist:innen und Schüler:innen in Uniform. Wir fragen die Teenager, warum sie Armeeuniformen tragen und sie sagen nur, das sei für den Schulunterricht. Diese erstaunliche, mehrfach wiederholte Antwort, lässt sowohl die in West- als auch die Südosteuropa Aufgewachsenen unter uns fragend zurück.

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Wer mit dem Zug aus der Ukraine flieht, kommt zunächst in Przemyśl an. Auf dem kleinen Bahnhof  dreht sich alles um die Flüchtenden. Das erste, was wir sehen, sind die gelben Westen der Freiwilligen. Als wir vor dem Bahnhof ankommen, hören wir Kinder weinen. Ihre Mutter ist zusammengebrochen und wird von medizinischem Personal betreut. Eine Helferin hält den weinenden Sohn in den Armen. Die Bahnhofshalle ist voll mit Menschen, Flüchtende und Helfer:innen. Freiwillige – Kinder, Jugendliche, Erwachsene – helfen den Ankommenden mit dem Gepäck. Es gibt medizinische Hilfe und kostenlose Sim-Karten. Essen kaum. Gespendete Kleidung und Kuscheltiere, ob brauchbar oder nicht, stehen in Kisten herum. In der Stadt selber gibt es kaum Möglichkeiten, unterzukommen. Also müssen die Menschen weiter.

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In Przemyśl kommen jeden Tag mehrere Züge aus Lviv, der grenznahen Stadt in der Ukraine. Manche Züge haben fünf, sechs Stunden Verspätung. In der Hoffnung, dass sich die Situation gebessert hat, gehen im Moment viele zurück in die Ukraine. Uns wird mehrfach gesagt, dass derzeit mehr Menschen zurückkehren, als ankommen. Unter den Menschen, die zurückkehren, sind heute auch eine Romni und ihr Sohn.

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Für die Zugfahrten können sich Flüchtende im Bahnhof kostenlose Tickets holen. Wer mit dem Bus fahren will, muss selbst zahlen. Für Menschen, die es sich leisten können, bietet ein bekanntes deutsches Fernbus-Unternehmen Fahrten von Przemyśl direkt nach Berlin an. Die Fahrt dauert 12 bis 13 Stunden.

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Im Bahnhof steht ein leerer Zug der Deutschen Bahn. Die Bahnmitarbeiter:innen wollen uns nicht sagen, wann er abfährt. Auf ihrem Zug steht Cottbus. Wir fragen sie, wann und wohin die Züge der Deutschen Bahn fahren. Sie wollen keine konkreten Angaben machen und sagen nur, mehrmals pro Woche bringe ein Sonderzug flüchtende Ukrainer:innen direkt in deutsche Städte. Die Flüchtenden müssten sich bei den Hilfsorganisationen erkundigen, wann sie fahren können. Das ist ein großes Problem, denn viele Flüchtenden wissen nicht, wer ihnen Auskunft geben kann. Wenn nichtmal die Mitarbeiter:innen der Bahn Auskunft geben können (oder wollen?), an wen sollen sich dann die Menschen wenden, die dringend darauf angewiesen sind? Sie wissen nicht, wo die Organisationen sind, an die sie sich nach Angaben der Bahnangestellten wenden sollen.

Auch sonst kann kaum jemand Informationen geben. Die Flüchtenden, die Richtung Westen wollen, bekommen hier keine richtige Unterstützung. Die meisten Helfer:innen tragen nur Koffer. Die wenigen Roma-Familien, einzelne Romnja mit Kindern, sind isoliert. Sie wirken verloren.

Auf dem Parkplatz vor dem Bahnhof wird unser Minibus von einem Polizisten angehalten. Er fragt, wieviele Personen im Auto seien, will all unsere Pässe sehen und wissen, was wir am Bahnhof wollen. Als wir sagen, wir seien eine NGO, die flüchtende Roma unterstützt, will er die Papiere der Organisation sehen. Die haben wir sicherheitshalber dabei. Schließlich sagt er, er glaube uns und lässt uns fahren.

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Die Ukraine ist nur wenige Kilometer von Przemyśl entfernt. Wir möchten über die Grenze fahren. Bis nach Lviv sind es nur 100 Kilometer. Von dort fliehen die Menschen aus der Ukraine per Zug oder Bus. Auf dem Weg zur Grenze fahren wir an vielen Kilometern im Stau stehender LKWs vorbei, die über die Grenze wollen. Eine längere Schlange LKWs hat keine:r von uns jemals gesehen. Zunächst gehen wir davon aus, dass es Hilfsmittel sind. Allerdings haben viele der LKWs Autos geladen, neue und weniger neue. Wir fragen uns: Warum werden so viele neue und gebrauchte Autos in die Ukraine gebracht?

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Wir erinnern uns an die eindringlichen Warnungen: Zwischen der Grenze und Lviv ist es nicht sicher. Es gibt bewaffnete Raubüberfälle insbesondere auf Roma und ihre Organisationen. Azov-Leute nehmen ihnen alles ab. Von jemandem, der in dem Bereich arbeitet, wurde uns dringend empfohlen, nur mit offizieller Genehmigung und angeheuertem Security-Team die Grenze zu passieren. Wir nehmen ihre Warnungen ernst. Inzwischen haben wir von zu vielen gewalttätigen Übergriffen auf Roma in der Ukraine gehört.

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Vor dem Grenzübergang biegen wir ab zu dem kleinen Zelt-Dorf von Medyka. Dort kommen diejenigen an, die zu Fuß die Grenze überqueren. Zahlreiche Hilfsorganisationen aus aller Welt haben ihre Zelte aufgeschlagen. An Ständen bekommen die Ankommenden Essen, Trinken, gespendete Kuscheltiere. Rund um die Uhr gibt es dort Unterstützer:innen. Flüchtende Frauen und Kinder können in einem bewachten Zelt schlafen. Die meisten fahren jedoch gleich mit einem der Shuttle-Busse weiter. In einem ehemaligen Tesco-Supermarkt bei Przemyśl ist eine Unterkunft für Geflüchtete, in der sie einige Tage bleiben können. Laut einem der Helfenden wird das Gelände von amerikanischem Militär bewacht, um Menschenhandel zu unterbinden. Der Krieg in der Ukraine hat nicht nur viel Hilfsbereitschaft gebracht, sondern auch das organisierte Verbrechen auf den Plan gerufen. Es pilgert an die Grenze, um Frauen zu rekrutieren.

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In Medyka gibt es Organisationen aus Frankreich, den USA und Deutschland. Es gibt eine jüdische Organisation und eine von Sikhs. Für Roma gibt es dort nichts. Die Helfer:innen, die wir interviewen, sagen alle das gleiche. Sie sehen täglich Roma ankommen. Alle würden hier Unterstützung bekommen. Die Zelte sind für alle da. Ja, wir glauben euch. Auch uns werden Getränke und Essen angeboten. Alle sind freundlich zu uns und beantworten unsere Fragen (nur die Amerikaner:innen wollen nicht). Das Zelt-Dorf von Medyka ist wichtig, damit die Flüchtenden sich stärken können. Aber richtige Unterstützungsstrukturen gibt es nicht. Weder hier noch in Przemyśl bekommen die Ankommenden tiefergehende Hilfe oder Auskünfte. Besonders wichtig wäre zum Beispiel zu wissen, wie sie weiterkommen, Richtung Westen. Besonders für Roma aus den ostukrainischen Kriegsgebieten, die Russisch und Romanes sprechen, ist es schwierig.

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Wir überlegen, ein Zelt der Roma-Community zu eröffnen, vor allem um den Flüchtenden verlässliche Informationen geben zu können. Nicht nur in Polen gibt es das Problem, dass die flüchtenden Roma nicht ausreichend an Informationen kommen. Wir kennen das genauso aus der Slowakei, Tschechien, Ungarn, Deutschland. Überall fehlt es den Flüchtenden an Informationen. Viele sind völlig ratlos und wissen nicht, an wen sie sich wenden sollen. Seit mehr als zwei Monaten beraten wir flüchtende Romnja aus der Ukraine. Sie haben viele Fragen und erleben vielfach Zurückweisung. Manche bekommen keine Unterkunft, manche erleben offenen Rassismus. Eine Romni, die in Leipzig untergebracht war, war so verzweifelt, dass sie zurück in die Ukraine gegangen ist. Sie und ihre Kinder haben in Leipzig gefroren und gehungert und sie hatte Angst, dass ihre Kinder krank werden. Über eine andere Roma-Familie hat eine Sozialarbeiterin in einer ostdeutschen Unterkunft gesagt: „Das sind Z** aus Rumänien. Die nutzen uns nur aus.“ Die Familie hat ukrainische Pässe. Das Märchen von den „echten“ ukrainischen Geflüchteten und den „falschen“ geflüchteten Roma wird bereits seit Beginn der Fluchtbewegung aus der Ukraine in den osteuropäischen Ländern erzählt. Es ist in Deutschland angekommen. Seit mehr als 30 Jahren werden Roma als „Wirtschaftsflüchtlinge“ gebrandmarkt – egal, ob sie vor Krieg, rassistischer Gewalt oder systematischer Diskriminierung fliehen. Und diese Lüge erzeugt weiter Rassismus.

Obwohl in Deutschland weit weniger Geflüchtete aus der Ukraine sind, als etwa in Polen, ist auch hier die Situation schwierig. Ein Problem, das uns hier öfter begegnet: Roma-Familien bekommen nur einmal etwas Geld und das war’s. Sie bekommen keine Unterkunft. Manche werden von einer Stadt in die nächste geschickt und können jeweils nur wenige Tag an einem Ort bleiben. Oder sie werden an Orten untergebracht, irgendwo im Nirgendwo, wo es keinen Anschluss gibt und wo sie keine Arbeit finden können, was ihnen besonders wichtig ist, um ihre Familien in der Ukraine zu unterstützen. Kinder können seit mehreren Monaten nicht zur Schule gehen.

Auch in Deutschland sind die Unterstützungsstrukturen schwach. Sie sind geprägt von Überforderung mit der Situation von Romnja. Wir werden von Institutionen kontaktiert, damit wir uns um Roma-Familien kümmern. Selbst eine Kirche aus Berlin wollte sie nicht mehr haben. Wegen der schwierigen Situation haben wir einen gemeinsamen Appell an die Bundes- und Landesregierungen geschickt. Denn so kann es nicht weitergehen.

Um den flüchtenden Roma aus der Ukraine erste Informationen zu bieten, haben wir eine Hotline eingerichtet. Dort erhalten die Anrufenden Auskunft über die Ankunft, Unterbringung, Registrierung und vieles mehr in Deutschland auf Romanes, Russisch und Ukrainisch.

Ein drängendes Problem ist die Unterbringung. Viele Romnja fliehen in Gruppen mit mehreren Frauen und Kindern. Oft geben auch weitere Angehörigen ihre Kinder diesen Frauen mit. Um sich zu schützen und gegenseitig zu unterstützen, wollen sie zusammenbleiben. Wir suchen daher dringend nach Möglichkeiten, diese Menschen gemeinsam unterzubringen.

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Insgesamt haben wir bei der Fahrt nach Polen 33 Familien, etwa 130 Menschen, finanziell unterstützt. Wir bedanken uns für die Spenden, die bisher eingegangen sind. Ihr könnt weiter spenden. Es gibt keine Strukturen für Roma, und wir möchten das – mit eurer Hilfe – ändern.

Update vom 11. Mai 2022: Wir haben heute erfahren, dass die Menschen am 13. Mai aus dem Hostel raus müssen. Über 100 Menschen, fast nur Frauen und Kinder, sind dann obdachlos. Sie brauchen dringend wieder eine Unterkunft.

Die nächste Reise zu geflüchteten Roma ist bereits geplant. Wir werden nach Tschechien und in die Slowakei fahren. Viele Roma-Familien sind dort auf der Straße, ohne jede Unterstützung. Wir werden weiter berichten.

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Bitte unterstützt weiter:

Spendenzweck »Roma Ukraine«

Roma Center e.V.

IBAN DE11 2605 0001 0056 0575 40

Sparkasse Göttingen

*Eine gemeinsame Spendenaktion von:

Bundes Roma Verband e.V. • Roma Center e.V./ Roma Antidiscrimination Network • Romani Kafava e.V. • Romani Phen e.V. • Wakti Romano e.V. • Gruppe gegen Antiromaismus

Geflüchtete Roma aus der Ukraine in Polen.

photo by©Romadness