Der Welt Roma Kongress 2023 in Berlin

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Der Welt Roma Kongress 2023 in Berlin

Rund um den Roma Resistance Day (16. Mai) trafen sich Roma aus 30 Ländern, um die drängenden Themen der Community weltweit zu diskutieren.

Am 15. Mai begann der Kongress vormittags mit der Vernetzung der migrantischen Roma-Organisationen aus Deutschland sowie Workshops für die Akteur:innen aus den Roma-Organisationen und Aktivist:innen aus der Community. Die Workshops liefen über drei Tage. Zentral war hier die Diskussion zu Crimes against Roma, die diverse Aspekte der Entrechtung und Menschenrechtsverletzungen bis hin zu Kriegen umfasste. Im Emergency Room wurde über den aktuellen Zustand der Roma-Bewegung weltweit und nach Wegen aus der Notlage der Roma-Community.

 

 

 

671A7701 KopieDer öffentliche Teil des Kongresses begann mit einem Panel zur Situation in Deutschland. Nizaqete Bislimi-Hošo, Rechtsanwältin und Vorsitzende des Bundes Roma Verbandes, sprach über das Abschiebung und Bleiberecht gesprochen. Das Problem der langjährigen Duldungen ist nach wie vor aktuell. Über die Empfehlungen der Unabhängigen Kommission Antiz****ismus, die bisher kaum umgesetzt werden, sprach Isidora Randjelović von RomaniPhen. Sie ist Co-Autorin der wichtigsten Studie, die von der UKA in Auftrag gegeben wurde: über Rassismuserfahrungen von Roma in Deutschland.

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Die Roma-Philharmoniker haben ein Interview zu ihrer völkerverständigenden Arbeit und den Einfluss von Roma auf die klassische Musik gegeben. Imer Kajtazi von REU Jekhipe hat das Konzept für ein europaweites Netzwerk vorgeschlagen, das schnell bei Diskriminierungen intervenieren kann.

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In Reden haben Roma aus verschiedenen Ländern von der Situation vor Ort berichtet. Die europäische Dimension wurde im zweiten Panel aus verschiedenen Perspektiven diskutiert. Dazu gehörte die Bedrohung der Roma-Community durch den Rechtsextremismus in Ungarn, die negativen Auswirkungen der Corona-Pandemie auf migrantischen Roma und Polizeigewalt – darunter den Fall Stanislav Tomaš und die mangelnde Solidarität der Welt in solche Fällen.

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Bei der feierlichen Eröffnung am zweiten Tag des Kongresses, dem Roma Resistance Day, spielte das Roma Philharmonic Quintet unter der Leitung von Riccardo M Sahiti ergreifende Stücke.

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In Redebeiträgen von Saraya Gomis, der ehemaligen Berliner Staatssekretärin für Vielfalt und Antidiskriminierung, Grattan Puxon, dem Generalsekretär des Ersten Welt-Roma-Kongresses 1971 in London, Mehmet Daimagüler, dem Antiz****ismusbeauftragten des Bundes, Andrea Despot von der Stiftung EVZ, Jasna Čaušević von der Gesellschaft für bedrohte Völker ging es um die Bedeutung des 16. Mai, den Widerstand von Roma und die Geschichte der Welt-Roma-Kongresse. 1981 hatte das letzte (aber auch erste) Mal ein solcher Kongress in Deutschland stattgefunden. Er führte schließlich 1982 zur Anerkennung des rassistisch motivierten Völkermordes an den Sinti (und weniger an den Roma – darauf warten wir bis heute) durch die damalige Bundesregierung.

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Über die politische Bedeutung der Kongresses sprach Orhan Tahir in seinem Redebeitrag. Vicente Rodriguez Fernandez von La Orden del Fenix sprach über die unbekannte Geschichte der Roma-Bewegung, die weit vor 1971 begann. Dabei stellte er uns besonders das Leben und Wirken Shakir Pashovs vor. Der bulgarische Rom wurde am 20. Oktober 1898 geboren, kämpfte im Ersten Weltkrieg und für die Rechte von Arbeiter:innen aus der Roma-Community und gegen Sexismus. Im Zweiten Weltkrieg schloss er sich dem Widerstand an.

Wusstest du, dass der Tag der Roma-Nation am 7. Mai ist?

Ja, was seit 1971 der 8. April ist, war vorher der 7. Mai. An diesem Tag 1932 hielten die bulgarischen Roma eine Konferenz in Mezdra ab. Die Vereinigte Roma Organisation Ekhipe wurde als Vertreterin der globalen Roma-Community gegründet. Mitglieder waren christliche und muslimische Roma über 18, unabhängig von Geschlecht und sozialer Herkunft. Zu ihren Zielen gehörten u.a.:

  • der Kampf gegen den Faschismus sowie gegen antiz****istische und rassistische Vorurteile;
  • die Förderung des Nationalgefühls und des Bewusstseins der Roma;
  • die Einführung der Roma-Sprache als gesprochene und geschriebene Sprache bei den Roma;
  • die öffentliche Meinung der Nicht-Roma über die Bedarfe der Roma-Bevölkerung aufzuklären.

Kaum zu glauben, dass seitdem fast 100 Jahre vergangen sind. Viele Niederlagen mussten hingenommen werden. Der von Pashov gegründete Verein wurde bereits wenige Jahre später von den Faschisten verboten.

Der Zweite Weltkrieg wirft nach wie vor seinen Schatten. Aber auch mit den Folgen weiterer Kriege müssen wir uns befassen.

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Beim Kosovo-Panel am 16. Mai 2023 wurde über die ethnischen Säuberungen im Kosovo nach dem Krieg 1999 gesprochen, als 150.000 Roma aus der Region vertrieben und all ihres Besitzes beraubt wurden. Heute lebt der Großteil der kosovarischen Roma in der weltweiten Diaspora. Viele haben nach wie vor keinen sicheren Status. Die Kosovo Roma Rights Coalition fordert Gerechtigkeit für diese Menschen. Dazu zählt auch die Anerkennung des 13. Juni als offizieller Gedenktag der Vertreibung der Roma aus dem Kosovo.

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Während des Syrienkrieges wurden zahlreiche Angehörige der Dom-Community – die Roma des Nahen Ostens – vertrieben und leben heute in der Türkei. Über ihre Situation, die 2023 noch von einem schweren Erdbeben in der türkisch-syrischen Grenzregion verschlimmert wurde, sprach Kemal Vural Tarlan von Kirkayak Kültür.

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Der aktuelle Krieg in der Ukraine und die Diskriminierung der ukrainischen Geflüchteten aus der Roma-Community war ein zentrales Thema, über das unter anderem Izabela Jaśkowiak von der polnischen Roma-Organisation Harangos sprach. Zu den weiteren Themen des Abends gehörten die Zwangssterilisationen von Romnja in Tschechien und die Folgen des Brexit für migrantische Roma in England.

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Am Mahnmal für die im NS ermordeten Sinti und Roma Europas gedachten wir am dritten Kongress-Tag der Opfer des Genozids an den Rom. In Redebeiträgen wurde dabei insbesondere auch an den 16. Mai 1944 erinnert: An diesem Tag sollten alle in Auschwitz verbliebenen Roma ermordet werden. Diese mehr als 4000 Menschen leisteten der SS Widerstand und konnten so zunächst überleben. Widerstand wurden nicht nur an diesem Tag geleistet – viele Roma kämpften als Partisan:innen und in der Roten Armee. Damit leisteten sie nicht nur einen wichtigen Beitrag gegen die Verfolgung, sondern auch zur Befreiung Europas. Eine andere Form des Widerstands leistete Alfreda Markowska. Die polnische Romni rettete die Kinder aus den Zügen nach Auschwitz und suchte ihre Familien oder, wenn sie keine mehr hatten, ein neues Zuhause. Ihre Geschichte und die Geschichte der Roma, die 2016 am Mahnmal für ihr Bleiberecht eintraten und dann gewaltsam geräumt wurden, werden, neben vielen anderen, in der App erzählt, die RomaniPhen entwickelt und bei der Veranstaltung gelauncht hat. Die App wird als digitales Element Teil des Mahnmals werden und ihm die Narrative der Roma-Community hinzufügen.

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Das Roma Center/ Roma Antidiscrimination Network sprach in seiner Rede über den Samudaripen – den ignorierten Völkermord an den Roma Europas. Dass sich dieser Genozid nicht auf die Sinti und den deutschen Raum beschränkte, ist weder in Deutschland noch in anderen Ländern besonders bekannt. Der Überfall auf weite Teile Europas und die Besetzung dieser Länder, führte zur Verfolgung der Roma in diesen Gebieten. Sie wurden in Konzentrationslager verschleppt, zur Zwangsarbeit deportiert, in Massenerschießungen ermordet.

Mit dem Ende des Kosovokriegs begann die größte Katastrophe für Roma seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs: Der Kosovo wurden ethnisch gesäubert, die UCK und weitere (kosovo-)albanische Nationalisten vertrieben insbesondere ab dem 13. Juni 1999 fast alle Roma aus dem Kosovo. Die ethnische Säuberungen gegen Roma waren verbunden mit Folter, Vergewaltigung, Mord sowie massenhaften Plünderungen und Zerstörungen, denen die Kfor-Soldaten tatenlos zusahen. Etwa 20.000 Roma-Häuser wurden zerstört. Nach der Vertreibung von 150.000 Roma aus dem Kosovo wurden die verlassenen Häuser und Grundstücke von Albaner:innen besetzt. Bis heute sind viele Roma aus dem Kosovo verschwunden. An diese Menschen und diejenigen, von denen man sicher weiß, dass sie ermordet wurden, erinnerten wir mit einem Banner, das wir gegen Ende der Rede entrollten. Es enthält die Namen der verschwundenen Roma.

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Auf der Pressekonferenz und der Debatte im Allianz-Forum wurden die Empfehlungen und Forderungen der Roma aus 30 Ländern vorgestellt und diskutiert. Dazu gehörte sowohl die Deklaration zu umfassenden rechtlichen, sozialen und politischen Themen als auch die Deklaration der Kosovo Roma Rights Coalition und eine Diskussion zur aktuellen Notsituation. Daran knüpfte das letzte, aber sicherlich mit das wichtigste Panel an: Visionen von Roma für Europa – eine Diskussion über die Auswege aus dem Teufelskreis und Lichtblicke für die Generationen, die da kommen.

Die öffentlichen Parts des Kongresses können hier nachgesehen werden:

https://www.youtube.com/@ROMADNESSStrangeMovies/streams

Die Deklaration des Kongresses wird an die Politik verschickt. Sie wurde bereits an erste EU-Abgeordnete und andere Akteur:innen aus der Politik und Internationalen Organiationen übergeben.

Mit dem Kongress haben wir eine Plattform installiert, auf der regelmäßig die drängenden Anliegen der Roma-Community und über Auswege aus der aktuellen Notsituation diskutiert wird. Der nächste Kongress wird 2025 stattfinden. Zwischen den Kongressen werden die gefassten Pläne praktisch umgesetzt.

Hier kann die Deklaration in mehreren Sprachen nachgelesen werden:

WRC declaration 2023 Deutsch

WRC declaration 2023 Englisch

WRC declaration 2023 Romanes

WRC declaration 2023 Serbisch

WRC declaration 2023 Slowakisch

 

 

 

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