Der Bundes Roma Kongress in Berlin 2024. Erste Eindrücke
Das Roma Center/ Roma Antidiscrimination Network hatte vom 17. bis 19. Mai zum Bundes Roma Kongress nach Berlin eingeladen. In zeitlicher Nähe zum Roma Resistance Day am 16. Mai trafen sich Roma-Organisationen aus ganz Deutschland, um die aktuelle Lage der Roma-Community in Deutschland zu diskutieren und Veränderungen anzustoßen.
Nach einem internen Vernetzungstreffen der Organisationen und weiterer Aktivist:innen eröffneten wir den Kongress mit einer Podiumsdiskussion, an der acht Personen aus den Organisationen in zwei Runden teilnahmen. Moderiert wurde sie von Radoslav Ganev (Romanity e.V.).
Isidora Randjelović (RomaniPhen e.V.) sprach als Leiterin der großen Studie „Unter Verdacht“, die sie und ihr Team im Auftrag der Unabhängigen Kommission Antiziganismus durchgeführt haben, zu den Ergebnissen der Studie und zur Umsetzung der Empfehlungen. Rassismuserfahrungen sind in den Biografien von Roma demnach allgegenwärtig. Ihre Studie schloss mit umfassenden Empfehlungen, wesentlich sollten dabei auch Maßnahmen im Bleiberecht sein, die sich in den Empfehlungen des UKA-Berichts jedoch nicht in dem Maß widerspiegeln, wie sie sie ausgearbeitet hatten. Ein weiterer Fokus lag auf der Partizipation von Roma und ihren Organisationen in allen sie betreffenden Bereichen
Kenan Emini vom Roma Center und vom Bundes Roma Verband sprach über das (fehlende) Bleiberecht von Roma in Deutschland: die Ursachen langjähriger Duldungen, die Ausschlüsse, die strukturelle Desintegration, die Abschiebungen, „sichere Herkunftsländer“, den Mangel an Chancen und Perspektiven und vor allem unseren Vorschlag, über den §23 Aufenthaltsgesetz eine Kontingentlösung für die langjährig Geduldeten und Roma in erzwungener Dauermigration umzusetzen.
Miman Jašarovski von With Wings and Roots sprach über die das Bündnis Pass(t) uns Allen, zu dem auch das Roma Center gehört, und seiner Anliegen. Dazu gehören zentral die Forderung nach einem an die Einwanderungsgesellschaft angepassten Staatsangehörigkeits- und Wahlrecht. Dazu würde etwa das Ius soli zählen, dessen Umsetzung das Recht aller in Deutschland geborener Menschen auf eine deutsche Staatsangehörigkeit und damit auch auf politische Rechte bedeuten würde. Der Ausschluss vom Wahlrecht führt auch dazu, dass die Anliegen dieser Menschen für Politiker:innern nicht zählen, denn „nur wer wählt, zählt“.
Kjemal Ahmet von Pro Sinti und Roma sprach über die schwierige Situation von Roma in Baden-Württemberg. Dazu zählen die Probleme mit der Umsetzung des „Chancenaufenthalts“, der psychischen Druck auf die langjährig Geduldeten und die enorme Diskriminierung im institutionellen Bereich. Er wies auch auf die Gefahren für Roma hin, abgeschoben zu werden, wenn der §24 wegfällt. Auch deswegen müssen wir die geflüchteten Roma aus der Ukraine aktuell besonders unterstützen.
Zumreta Sejdović leitet das Romani Kafava, eine Beratungsstelle für Roma-Familien in Hamburg. Sie sprach u.a. über die Probleme der ukrainischen Geflüchteten aus der Roma-Community, denen es vielfach an Unterstützung fehlt.
Auch Jeany Seitz vom Landesverband in Bayern sprach aus ihrer Erfahrung mit ukrainischen Roma, ihrer Benachteiligung, Segregation, die mitgebrachten Diskriminierungs- und Exklusions-Erfahrungen in der Ukraine aber auch die Probleme mit Trägern und Ämtern in Bayern.
Hamze Bytyçi sprach über die Ignoranz der Gesellschaft gegenüber gleichen Rechten für Roma, über die Benachteiligung im Bildungssystem, darunter auch der ukrainischen Roma und die fehlende Unterstützung für Schulmediator:innen, sowie die mangelnden Entschädigungen nach dem Porajmos und transgenerationale Traumata.
Milan Raković vom Rroma Informations Centrum sprach über die fehlende Solidarität, die Diskriminierung der geflüchteten und migrantischen Roma und die weiterhin bestehenden Kernprobleme, die sich seit Jahrzehnten nicht verbessern.
In mehreren Beiträgen wurde die fehlende politische Lobby als zentral für die Umsetzung positiver Maßnahmen problematisiert, aber auch die fehlenden übergreifenden Allianzen. Problematisch ist zudem, dass Roma-Organisationen zwar manchmal von der Politik für Stellungnahmen oder Gremien angefragt werden, hier aber häufig nur eine Alibi-Funktion haben und de facto dann nichts von dem umgesetzt wird, was die Organisationen für wichtig erachten. Gleichzeitig kann die Politik aber sagen, die Community sei eingebunden gewesen.
Der Kongress war ein wichtiger Schritt, die Organisationen näher zusammenzubringen und gemeinsam an unseren Themen zu arbeiten, wie bereits auch der Welt Roma Kongress im letzten Jahr. Diese Vernetzung wurde von mehreren Sprecher:innen als Voraussetzung gesehen, um für gleiche Rechte zu arbeiten. Wichtig wäre zudem, die Roma-Organisationen strukturell zu fördern, damit sie angemessen ihre Arbeit machen können.
Für große Begeisterung sorgten Musik und Kinderchor unter der Leitung von Tayo Awosusi-Onutor und Dejan Jovanović. Mit dem „musikalischen Erbe der Rom*nja“ interpretieren sie Lieder auf Romanes, setzen sie in Bezug zur Gegenwart und bringen so dem Publikum musikalisches Kulturgut der Roma näher.
Im Anschluss hörten wir das Rap-Duo Stefan & David, die in ihren Texten historische und gegenwärtige Themen wie Verfolgung und Rassismus verhandeln. Auch die Prizreni-Brüder, a.k.a. Romanimuss Pryme und GIP5Y spielen in ihrem Hip Hop immer wieder auf aktuelle Themen wie das fehlende Bleiberecht an. Zum krönenden Abschluss des Abends rappte Kastro Microphone Master, der Pionier des Roma-Hip-Hop. Wegen seines letzten Albums „Kastro Against White Supremacy“ wurde er in seinem Herkunftsland verfolgt.
Bei der Podiumsdiskussion am zweiten Tag hatten wir Jana Mechelhoff-Herezi, die Mitglied der Unabhängigen Kommission Antiziganismus war, zu Gast sowie die beiden Berliner Abgeordneten Dr. Susanna Kahlefeld (Bündnis 90/ Die Grünen) und Elif Eralp (Die Linke). Mit ihnen haben wir über die Situation des Mahnmals für die im NS ermordeten Sinti und Roma Europas gesprochen. Die Bauarbeiten, bei denen u.a. ein Teil der Bäume, die zum Mahnmal gehören, gefällt werden, beginnen 2027. Aktuell versuchen die Angehörigen von Dani Karavan, dem Architekten des Denkmals, über das Urheberrecht, die Beschädigung des Ortes zu verhindern.
Ein zweites wichtiges Thema war das Bleiberecht. Die Berliner Linke hatte kürzlich einen Antrag ins Abgeordnetenhaus eingebracht, der über den §23 ein Bleiberecht für Roma in Deutschland ermöglichen sollte. Der politische Wille ist in diesem Bereich jedoch stark eingeschränkt, obwohl es faktisch nur um eine kleine Gruppe an Menschen geht.
Auch die bessere Partizipation von Roma-Organisationen war Thema. Hier war insbesondere auch wichtig, mit den Landespolitikerinnen zu diskutieren, was wir in den anderen Bundesländern von Berlin lernen können. Dazu gehört zum Beispiel der sich in Konstitution befindliche Beirat für Angelegenheiten von Roma und Sinti, der den Senat beraten soll. Er ist ein wichtiges Instrument der Partizipation.
Die Unabhängige Kommission Antiziganismus hatte zahlreiche Empfehlungen ausgearbeitet. Davon wurde bis jetzt, drei Jahre später, wenig umgesetzt. Wir haben einen Beauftragten gegen Antiziganismus bekommen, einige Sachen sind im Entstehen, darunter die Kommission zur Zweiten Verfolgung. Daran gilt es nun tatkräftig auch von unserer Seite mitzuwirken und in Schieflagen einzugreifen.
An zwei Tagen fanden Workshops zur Umsetzung von Maßnahmen gegen Diskriminierung und für die Partizipation von Roma statt, in denen wir bereits einiges diskutieren konnten und an das wir anknüpfen werden. Darüber hinaus hat uns Prof. Dr. Christoph Kopke in seinem Workshop in die aktuelle Lage des Rechtsextremismus in Deutschland eingeführt.
Wir bedanken uns bei allen Beteiligten für ihren Beitrag zu einem gelungenen Kongress.
Die Podiumsdiskussionen und die Musik wurden live gestreamt und können auf unserem Youtube-Kanal angeschaut werden: https://www.youtube.com/@ROMADNESSStrangeMovies/streams
Die Streams werden zu einzelnen Clips geschnitten und können dann auch über den Kanal nachgesehen werden.