Connecting troughout the World – Online-Konferenz Staffel 1, Folge 1

2020-05-09 19_24_38-Roma in der Corona-Krise - Teil 1 - YouTube

Connecting troughout the World – Online-Konferenz
Staffel 1, Folge 1

Connecting throughout the World ist eine Serie von Online-Konferenzen über den Einfluss der Corona-Krise auf Roma – weltweit. Gestartet haben wir sie am 8. Mai, dem 75. Jahrestag der deutschen Kapitulation im Zweiten Weltkrieg und damit der Befreiung weiter Teile Europas. Für die erste Folge hatten wir Gäste aus Serbien, Tschechien und Deutschland eingeladen.

Jelena Mićović ist Sozialarbeiterin bei der Caritas Serbien in Belgrad und arbeitet mit Rückkehrern. Die meisten sind Roma. Am 15. März wurde quasi über Nacht der Notstand in Serbien ausgerufen, nicht vom Parlament, wie es das Gesetz vorsieht, sondern vom Staatspräsidenten, der Ministerpräsidentin und dem Vorsitzenden des Parlaments. Anschließend wurden ohne parlamentarische Kontrolle unverhältnismäßig restriktive Maßnahmen durchgesetzt. Es gab drastische Ausgangssperren: Menschen über 65 durften, ohne Vorbereitung, für 34 Tage das Haus nicht verlassen, täglich zwischen 15 bzw. 17 Uhr und 5 Uhr morgens gab es eine Ausgangssperre für alle und über Ostern durfte für 84 Stunden niemand das Haus verlassen. Leute, die aus dem Ausland heimkehrten, mussten teilweise unvorbereitet in Isolation. Journalist_innen, Ärzt_innen und Krankenpfleger_innen, die sich kritisch äußerten, wurden als Staatsfeinde behandelt. Verstöße gegen die drastischen Maßnahmen wurden mit hohen Geldbußen geahndet. Manche wurden gar in Verhandlungen via Skype zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. Auch eine Journalistin war verhaftet worden, nachdem sie kritisch über ein Krankenhaus in der Vojvodina berichtet hatte. Es wurde generell versucht, die Berichterstattung zu zentralisieren und einzuschränken.

Die Versorgung mit Lebensmitteln war laut Jelena ganz gut. Allerdings wurden die Bedürftigen weitgehend ignoriert. NGOs und Freiwillige haben sie mit Lebensmittel- und Hygienepaketen versorgt und Suppenküchen organisiert. Die Stadt Belgrad hat die informellen Siedlungen nicht mal mit Wasser versorgt. Die Schulen wurden von einem Tag auf den anderen weitgehend geschlossen, wobei die Armen natürlich nicht die Möglichkeit haben, dem Unterricht über digitale Medien zu folgen.

Da der öffentliche Verkehr eingestellt wurde, war es insbesondere auch für die Menschen in den informellen Siedlungen an den Stadträndern, sprich Roma, quasi unmöglich, in die Stadt zu kommen, um z.B. einen Arzt aufzusuchen. Das staatliche Gesundheitswesen war nicht mehr erreichbar. Obwohl bis heute kein Fall aus den Siedlungen bekannt ist, werden die Menschen dort als Ansteckungsrisiko wahrgenommen.

Ein Großteil der in Serbien lebenden Roma gehört zu den ärmsten und am meisten benachteiligten Menschen in der Gesellschaft. Viele sind daher auf Beschäftigung im informellen Sektor angewiesen, der jetzt in der Corona-Krise völlig eingebrochen ist. Das heißt, sie haben überhaupt keine Möglichkeit, Geld zu verdienen. Sie können auch nicht die übrig gebliebene Nahrung von Restaurants holen, was sonst möglich war, da diese geschlossen sind. Das Sozialwesen in Serbien war der Situation schon vor der Krise nicht gewachsen, jetzt erst recht nicht. Die NGOs sind die einzigen, die diese Menschen unterstützen. Jedoch sind sie natürlich komplett auf Projektmittel angewiesen. Es besteht im Land kein politischer Wille, sich mit den Ärmsten auseinander zu setzen. Auch deswegen, weil sie nicht als Wählerstimmen angesehen werden.

Die letzte Abschiebung nach Serbien war am 24. März. Deutschland hat ein Flugzeug nach Serbien geschickt, um die Diplomaten etc. auszufliegen und auf dem Hinflug wurden dann 30 Menschen abgeschoben. Es waren fast alle Roma, die früher im Kosovo gelebt haben. Daher hat die Polizei sie an die serbisch-kosovarische Grenze gebracht und der Polizei im Kosovo übergeben. Ihnen wurden die Telefone abgenommen, daher konnten sie ihre Familien in Deutschland nicht informieren.

In relativem Kontrast schildert Markus Pape, Menschenrechtsaktivist und Journalist in Prag, die Lage in der Tschechischen Republik. Zwar gibt es Ausgangsbeschränkungen, die Schulen sind geschlossen und der Zugang zum Gesundheitssystem ist für Menschen ohne Corona-Erkrankung erschwert. Es scheint aber aktuell jedoch keine zusätzliche Diskriminierung gegen Roma zu geben. Allgemein bestehe eine große Hilfsbereitschaft in der Bevölkerung. Selbst Obdachlose werden im Hotel untergebracht, damit sie nicht auf der Straße bleiben. Das betrifft auch einige Roma. Laut Markus versucht die Presse, die Menschen zu beruhigen, daher könne es sein, dass bestimmte Nachrichten nicht an die Öffentlichkeit gelangen. Durch die Reisebeschränkungen ist die Sicherung des Lebensunterhalts für arme Leute, die im Ausland Sperrmüll gesammelt haben, um ihn in Tschechien zu verkaufen, derzeit kaum noch möglich. Auch für die Kinder in den armen Orten ist es schwierig, weiter am Unterricht teilzunehmen, da sie kaum Zugang zum Internet haben. Allgemein richtete sich die Stimmung in den letzten Jahren eher gegen Geflüchtete allgemein, nicht so sehr gegen tschechische Roma.

Nizaqete Bislimi-Hošo ist Vorsitzende des Bundes Roma Verbandes und Fachanwältin für Migrationsrecht. Roma, die um das Aufenthaltsrecht kämpfen oder denen droht, es zu verlieren, sind aktuell in einer schwierigen Situation. Wer in einer Duldung ist und einen Aufenthalt möchte bzw. den Aufenthaltstitel behalten möchte, muss nachweisen, dass er/ sie den Lebensunterhalt weitgehend selbst bestreitet. Viele dieser Menschen arbeiten in prekären Jobs und haben mehrere Stellen. So zum Beispiel die Frau, die morgens im Restaurant arbeitet und diese Stelle nun wegen der Corona-Verordnungen verliert. Damit ist nicht nur der Lebensunterhalt für sich und die Familie gefährdet, sondern auch der Aufenthalt. Sie muss dringend einen neuen Job finden. Das sind häufig Leute, die seit den 1990ern in Deutschland leben und nie wirklich teilhaben konnten an gesellschaftlichem Leben und nicht zu Sprachkursen zugelassen wurden oder anderweitig gefördert worden sind und nicht die Möglichkeit haben, einen guten Job zu bekommen. Auch für die Menschen, die mit einem Beschäftigungsvisum nach Deutschland gekommen sind, ist der Aufenthalt gefährdet, da sie häufig im Niedriglohnsektor arbeiten.

Viele Menschen werden gerade auf Kurzarbeit zurückgestuft und müssen Kurzarbeitergeld beziehen. Das reicht natürlich häufig nicht, um den Lebensunterhalt zu sichern und sie müssen ergänzende Leistungen beantragen. Dies ist wiederum ein Problem für den Aufenthalt, da nicht mehr der überwiegende Teil des Lebensunterhalts selbst gesichert wird.

Menschen aus den so genannten sicheren Herkunftsländern, zumeist Roma, die noch im Asylverfahren sind, leben in zentralen Unterbringungseinrichtungen. Sie leben beengt und werden schlecht informiert, wie sie sich schützen können. Die Verunsicherung bei den Menschen ist entsprechend groß.

Roma aus EU-Staaten wie Bulgarien und Rumänien fallen unter die Freizügigkeitsregelung. Auch sie arbeiten häufig im Niedriglohnsektor, also Bereichen, die nicht unbedingt sozialversicherungspflichtig sind. Wenn diese entlassen werden, stehen sie mittellos da und die Freizügigkeit steht auf dem Spiel.

Niza erinnert nochmal an den 8. Mai und die besondere historische Verantwortung Deutschlands gegenüber Roma und Sinti. Diese Gruppe wird gerne vergessen, wenn es um die Opfer des Nationalsozialismus geht. Das spiegelt sich auch im Umgang mit ihnen wider. Gesetze wie die Regelungen zu sicheren Herkunftsstaaten richten sich gegen Roma. „Wir müssen laut fordern, dass das aufhört. Es ist höchste Zeit, an die Ärmsten und Schwächsten zu denken. In dieser Situation dürfen wir uns nicht dazu verleiten lassen, diese Menschen ihrem Schicksal zu überlassen. Wenn eine Mandantin um 12 Uhr zu mir kommt und da schon sechs Stunden gearbeitet hat, und dann muss sie sich auch noch um die Kinder kümmern. Und wenn jetzt ihr Job wegfällt, wofür sie gar nichts kann, sollte man sehr großzügig den Punkt „Lebensunterhalt sicher stellen“ überdenken. Sowas darf nicht zur Beendigung von Aufenthalt führen.


 

Roma in Society. Reloaded
Ein Projekt des Roma Centers, gefördert von Demokratie leben!