Connecting throughout the World. Roma in der Corona-Krise. Teil 2

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Connecting throughout the World. Roma in der Corona-Krise. Teil 2

In der zweiten Folge unserer Serie über Roma in der Corona-Krise hatten wir Gäste aus Mazedonien und der Türkei. Unser dritter Gast Dzafer Buzoli konnte sich wegen eines plötzlichen Stromausfalls leider nicht zuschalten. Wir werden seinen Beitrag über den Kosovo nachholen.

Aus der mazedonischen Hauptstadt Skopje war Ajet Osmanovski zu Gast. Er war Programm-Manager für höhere Bildung von Roma und ist Sozialarbeiter. In Skopje gibt es eine der größten Roma-Communities in Europa: Šuto Orizari, genannt Šutka. Es ist eine in Europa einzigartige Roma-Siedlung, denn sie verfügt über eine eigene kommunale Verwaltung mit Bürgermeister, der Rom ist. Dennoch stellt die Siedlung nur einen Abgeordneten im mazedonischen Parlament. Es gibt hier auch gut ausgebildete Roma mit Hochschulabschluss. Trotz der Förderprogramme für die Ausbildung von Roma sind auch viele akademisch ausgebildete Roma arbeitslos, da sie nicht eingestellt werden.

Während es zwar mittlerweile politische Parteien der Roma gibt, leben in Mazedonien immer noch Menschen ohne Papiere, die also im System nicht existieren, die keine Krankenversicherung haben und keinen Zugang zu Sozialhilfe o.Ä., Leute, die immer noch davon leben, Wertstoffe zu sammeln, Kinder, die betteln. Manche Roma-Siedlungen sind nach wie vor von der Infrastruktur abgeschlossen, sind nicht an die Wasser- und Stromversorgung angeschlossen. Die Mehrheit der Roma im Land lebt nach wie vor unter solchen Bedingungen und muss gegen Rassismus kämpfen.

Wer keine Papiere hat, ist von der Gesundheitsversorgung abgeschlossen. Das gilt auch in der aktuellen Situation. Die mazedonische Regierung hat wirtschaftliche Unterstützungsmaßnahmen für Unternehmen erlassen. Von diesen können die meisten Roma nicht profitieren, da sie meistens im informellen Bereich arbeiten. Um die Ansteckungsrisiken zu reduzieren, hat auch Nordmazedonien Geschäfte und Basare geschlossen. Auf dem Basar in Šuto Orizari arbeiten sehr viele lokale Roma, die von dieser Arbeit leben. Da er für zwei Monate geschlossen war, hatten diese Menschen keinerlei Einkommen mehr. Die kommunale Verwaltung hat daher die Menschen mit Essen und Hygienemitteln versorgt. Von der eigentlichen Regierung kam jedoch keine Hilfe. Auch für die Menschen, die Sozialhilfe empfangen, gibt es aktuell keine Notfallmaßnahmen der Regierung. Die Sozialhilfe wurde vor der Pandemie bereits auf 100 Euro angehoben (davor betrug sie die Hälfte). Gleichzeitig hat die Regierung Maßnahmen getroffen, um viele Leute von Sozialhilfe auszuschließen. Menschen ohne Papiere sind natürlich generell davon ausgeschlossen.

Dass viele Menschen keine Papiere haben, obwohl sie Mazedonier_innen sind, bezeichnet Ajet als ein Generationen-Problem. Wenn eine Frau nicht im System erfasst ist, bekommt sie ihre Kinder zu Hause. Wenn die Geburt jedoch nicht im Krankenhaus erfolgt, erhält man keine Geburtsurkunde. Die meisten Roma ohne Papiere sind Geflüchtete aus dem Kosovo. Auch Menschen, die als Geflüchtete in westlichen Ländern geboren sind, haben oft keine Papiere, da sie keine mazedonische Geburtsurkunde oder Identitätsnummer haben. Daher können sie keine Krankenversicherung bekommen oder zur Schule gehen. Vor ein paar Jahren gab es zwar ein Projekt der Regierung, in dem man seine Abstammung durch DNA-Tests nachweisen konnte, jedoch hat das geendet und es gibt keinerlei Informationen, was daraus geworden ist.

Im Vergleich zu anderen Balkanländern hat Mazedonien relativ viele Roma-Politiker. Ob das etwas an den Problemen der Menschen ändert, ist jedoch sehr stark abhängig davon, dass diese Abgeordneten auch für die Anliegen der Roma kämpfen. Aktuell sieht das nicht so aus. Zudem gibt es in Mazedonien viele große Organisationen, die mit Roma arbeiten. In den Organisationen selbst arbeiten jedoch keine Roma. Sie machen Projekte für Roma, sind aber noch nie einem wirklichen Rom auf der Straße begegnet.

Kemal Vural Tarlan ist aus Gaziantep, einer türkischen Stadt an der Grenze zu Syrien. Er arbeitet als Koordinator für die Menschenrechtsorganisation Kırkayak Kültür, ist Journalist und kämpft seit 20 Jahren für Menschenrechte. Er recherchiert die Situation von Dom, vor allem in Jordanien, Libanon und der Türkei. In der Türkei gibt es drei Gruppen von Roma: Die Hauptgruppe sind die Roma, die im Westen der Türkei leben. Die Dom leben vorwiegend im Osten und werden auch als kurdische Roma bezeichnet, während die Lom im Norden leben und als armenische Roma gelten.

Wie viele Roma genau in der Türkei leben, weiß man nicht. Geschätzt werden bis zu fünf Millionen. In den Ländern des Nahen Ostens leben schätzungsweise drei Millionen Dom. Etwa 200000 von ihnen lebten vor dem Krieg in Syrien. Der syrische Bürgerkrieg hat viele Menschen zur Flucht gezwungen. Allein in der Türkei leben aktuell etwa vier Millionen Geflüchtete aus Syrien, darunter etwa 50000 Dom. Während die Roma in der westlichen Türkei noch wahrgenommen werden, sind die Dom und die Lom laut Kemal unsichtbar. Gleiches gilt für die Dom in Jordanien und im Libanon.

Wie in anderen Ländern auch, gibt es in den Ländern des Nahen Ostens eine starke Diskriminierung gegen Roma. Ein Hauptproblem für viele Roma im Nahen Osten ist der Zugang zu sauberem Wasser. Hinzu kommt, dass die Dom Geflüchtete bzw. Migrant_innen sind und dadurch zusätzlich stigmatisiert. Sie haben oft keinen Flüchtlingsstatus, keine Papiere und somit keinen Zugang zum Gesundheitssystem. Die meisten Dom-Kinder können daher auch nicht zur Schule gehen. Die geflüchteten Dom leben in den Vierteln der Dom in der Türkei und arbeiten dort z.B. indem sie Wertstoffe sammeln oder in der Landwirtschaft. Es arbeiten alle: Kinder, Frauen und Männer.

Ein wesentliches Problem ist auch, dass die großen NGO oder z.B. der UNHCR nicht im Feld arbeiten, sondern im Büro, und daher die Situation der Menschen nicht kennen. Hilfe für die Dom kommt daher auch gerade in der jetzigen Situation nicht leicht ins Rollen. Kemal erzählt, dass seine Organisation mit den großen NGO einen Monat Meetings hatte, und in dieser Zeit haben diese Organisationen es nicht geschafft, auch nur eine Familie mit Essen zu versorgen. Im Moment sagen alle Regierungen und die NGOs, die Leute sollen zu Hause bleiben, Hygienemittel nutzen etc. Aber diese Menschen haben zu Hause kein Wasser, keine Hygienemittel oder Essen.

Kırkayak Kültür arbeitet für die Menschenrechte von Migrant_innen, vor allem die der Dom. Besonders wichtig ist für Kemal das Recht der Kinder auf Bildung. Das aktuelle Bildungssystem diskriminiert Roma-Kinder, die aus dem System gedrängt werden. Die Organisation versucht auch, mit der Politik über die Situation zu sprechen, um Verbesserungen herbeizuführen. Die Organisation untersucht Diskriminierung gegen Dom und veröffentlicht Berichte dazu.

Ein Problem in der Türkei ist auch, dass es zwar Roma-NGOs gibt, diese jedoch nicht zu den Rechten von Roma arbeiten und dass es ihnen an Erfahrung in diesem Bereich fehlt. Anders als in Mazedonien gibt es in der Türkei auch keine politischen Parteien der Roma.

Besonders wichtig war in dieser Sendung ein Ergebnis: Die Lebensbedingungen der Dom in der Türkei und der Roma in Balkanländern sind sich sehr ähnlich. Den Menschen fehlt es an sauberem Wasser, sie müssen zu Hause bleiben, obwohl sie kein Zuhause haben. Die Menschen müssen arbeiten, um zu essen, aber sie können nicht rausgehen. Weder in der Türkei noch in Mazedonien merken Roma, dass die Regierung etwas täte, um sie zu unterstützen.

Mazedonien war Teil der Roma-Dekade. Auf dem Papier gab es jede Menge Maßnahmen, auf das wirkliche Leben hatte sie keinen Einfluss. Es hat sich nichts geändert. Die Regierungen und die Internationalen Organisationen sollten mehr für die Roma tun sowohl auf dem Balkan als auch in der Türkei. Obwohl sich die Systeme sehr unterscheiden, kämpfen die Menschen mit den gleichen Problemen. Das verbindet alle Roma.

Lies auch unsere zusammenfassenden Übersetzungen der Berichte von Kırkayak Kültür über die geflüchteten Dom aus Syrien und zu Dom in der Corona-Krise.

 


Roma in Society. Reloaded
Ein Projekt des Roma Centers, gefördert von Demokratie leben!