7. Kultur

7. Kultur

Die Unterscheidung zwischen rein (uzo) und unrein (mahrime) ist von herausragender Bedeutung, von ebenso großer Bedeutung wie die Unterscheidung zwischen Leben und Tod. Glück ist das Grundparadigma. Die Bewahrung und Steigerung des Lebens ist stark akzentuiert. Das Leben an sich gilt als höchster Wert. Aufopferung, mit dem Ziel, andere Werte zu bewahren oder durchzusetzen, ist eine in dieser Gemeinschaft fast fremde Erscheinung. Freiheit und Liebe sind vorrangige Werte, gute Laune und Fröhlichkeit charakteristische Zustände. Musik und Tanz sind die beliebtesten Unterhaltungsarten und nehmen eine herausragende Stellung sowohl in der Kultur wie auch im sozialen Leben dieses Volkes ein.

Obwohl die Lebensumstände sehr hart sind, gibt es nur wenig Feindseligkeit, Gewalt und Grausamkeit innerhalb der Gemeinschaft. Die traditionellen Werte lindern die schweren wirtschaftlichen Umstände und die Ausgrenzung durch Bevölkerungsmehrheiten. Innerhalb ihrer Gemeinschaft gibt es keine harten Strafen, Verbrechen sind im Vergleich zu anderen Gemeinschaften eher selten. Die Roma glauben, daß man die Seele eines Ermordeten erbt, wodurch sich das Leid des irdischen Lebens vergrößere.

Die Institution des Krieges ist in Geschichte und Kultur dieses Volkes unbekannt. Ihrerseits Opfer von Krieg und Gewalt, gilt ihnen Krieg als größtes Verbrechen.

Es existiert ein positives Verhältnis zur Natur. Das Übertreten göttlicher und somit natürlicher Gebote sowie Roma-Tradition gilt als Sünde und unterliegt der Kris-Gerichtsbarkeit. Verstöße gegen die Ordnung der Natur und des Universums hatten eine vielfach größere Bedeutung als die Roma noch vorwiegend eine nomadische Lebensweise führten.

Literatur: Das Interesse an der Volksliteratur der Roma trat in Europa zuerst im 16./17. Jahrhundert auf. Mit den Forschungen um Herkunft der Roma und Sinti wurden gleichzeitig die Voraussetzungen für das Sammeln von literarischem Material, seine Klassifizierung und Interpretation geschaffen. Alexandros Georgios Paspati sammelte so Romageschichten aus dem Gebiet des ehemaligen türkischen Reichs; Franz Miklosich veröffentlichte die Märchen und Lieder der Zigeuner der Bukowina, während Heinrich von Wlislocki mehrere Bücher mit Erzählungen und Gedichten der Roma aus Transsylvanien und Südungarn veröffentlichte. George Henry Borrow, ein englischer Schriftsteller und Philologe, sammelte das mündliche Material der spanischen Roma. Die Volksliteratur der Roma wurde zum größten Teil in unserem Jahrhundert gesammelt. Auch auf diesem Gebiet spiegelt sich die indische Herkunft und Wanderbewegung dieses Volkes wieder. Von 73 Haupttypen der Roma-Märchen konnten 55 Typen nach dem Aarnen-Thompson Katalog auch für Indien und 47 von diesen auch für persisch-iranischen und türkischen Märchenbereich belegt werden.

Hauptvertreter der Literatur der Roma sind: John Bunyan, 1628-1688 (The Holy City, Grace Abouding, The Pilgrim´s Progress usw.), Milan Begovic, 1876-1948 (Der Abenteurer vor der Tür, Der Mann Gottes, Das verlachte Herz, Die Quitte im Koffer, Gespenster im Schloß usw.), Nikolaj Velimirovic, 1880-1950 (er verfaßte Lyrik, Prosa, Essays und zahlreiche theologisch-philosophische Betrachtungen.), Velmir Zivojinovic Masuka, 1886-1968 (ein Shakespeare-Übersetzer in das Serbische, veröffentlichte eine große Anzahl von Gedichten, Dramen, Literatur- und Bühnenkritiken), Iwan Iwanovic Rom-Lebedev, 1903-1989 (Hochzeit im Lager, Feurige Pferde, Wir Zigeuner usw.), Bronislawa Wajs Papusha, 1909-1987 (Papushas Gedichte), Miron Ruda Paraschivescu, 1911-1971 (Cantice tiganesti, Laude si alte poeme, Bilci la riureni usw.), Mateo Maximoff, 1917 (Les Ursitory, Les Prix de la Liberté, La septième fille usw.), Slobodan Berbershi, 1919-1989 (Die Abreis des Bruders Jakalo, Wie ein Hirsch ohne Fell, Alltag usw.), Menyhért Lakatos, 1926 (Bitterer Rauch usw.), Roland Lee, 1934 (Verdammter Zigeuner usw.), Dezider Bang, 1939 (Cierni vlas, Rozhovory s nocou, Modra burka usw.), Veijo Baltazar ?-1947 (Penar Ocano, Poemas Indenfensos, Charol, Un Gitano de Ley, Bitacora del Padre usw.), Mariella Mehr, 1947 (Steinzeit, In diesem Traum schlendert ein roter Fremdling, Kinder der Landstraße, Zeus usw.), Rajko Djuric, 1947 (Ohne Heim, ohne Grab, Zigeunerische Elegien, Roma – Eine Reise in die verborgene Welt der zigeuner usw.), Josef Holdosi, 1951 (Kanyak), Bari Karoly, 1952 (Gedichte), Jovan Nikolic, 1955 (Der Gast von nirgendwoher, Georgstag, Körper und Umgebung usw.).

Musik: Die ältesten hinweise auf Roma stehen mit ihrer Musikalität im Zusammenhang. In iranischen Schriftdokumenten aus dem 3. Jahrhundert wird z.B. von den Luri, indischen Musikanten, gesprochen. Diese werden auch in einzelnen iranischen historischen und literarischen Quellen aus dem 5., 9. Und 10. Jahrhundert erwähnt. Als Musikanten, Sänger und Tänzer werden die Roma in vielen Quellen erwähnt, von byzantisch-griechischen bis zu westeuropäischen. Erst im 19. Jahrhundert begann die wissenschaftliche Erforschung der Musik der Roma (Die Musikfolklore der Roma wurde in Ungarn und Spanien wesentlich intensiver gesammelt und analysiert als in den anderen europäischen Ländern). Ethnomusikologen charakterisieren die Musik der Roma folgendermaßen:

  • Sie weist einen eigenständigen Interpretationsstil auf (gefühlsbetont und leidenschaftlich),
  • Die Melodien sind auf orientalische weise verziert,
  • Sie besitzt einen ausgeprägten Rhythmus,
  • Benutzt wird die sog. Zigeunertonleiter c-d-es-f-ges-as-h-c, bzw. die Mollskala, und zwar mit einer erhöhten vierten Stufe des harmonischen Moll.

Bei aller Vielfalt, die die Musik der Roma aufweist, verfügt sie doch über Grundeigenschaften, die sie von der Musik anderer Völker abheben. In der Alltags- und Festkultur nehmen Musik und Tanz einen zentralen Platz ein.

Theater: Das Roma-Theater Pralipe wurde Anfang der siebziger Jahre von dem 1949 geborenen Rahim Burhan in Skopje (Makedonien) gegründet. Mit den mittlerweile fast 25 Inszenierungen hat sich das Theater zunehmend professionalisiert. Produktionen wie Mautije, Königin der Violine nach Motiven aus der Mythologie und Geschichte der Roma König Ödipus nach Sophokles oder Soske?, Warum?, ein Stück, das den Holocaust thematisiert, wurde das Theater zu internationalen Festivals eingeladen und von Nancy bis Berlin gefeiert. Die bis zu ihrem Exodus aus Skopje nicht subventionierte Bühne fand 1991 in Mülheim an der Ruhr eine neue künstlerische Heimat.

Bildende Kunst: Berühmte bildende Künstler aus dem Volk der Roma sind die Maler Antonia Solario, 1495-?, Otto Mueller, 1874-1930, Serge Poliakoff, 1906-1969, Mica Popovic, 1923-1996, Dusan Jovanovic, 1949, Nikola Dzafo, 1950, Bruno Morelli, 1957. In dem bosnischen Dorf Bara bildeten Roma eine Künstlergruppe, die sich naiver bildender Kunst widmete. Zu ihr gehörten die Brüder Ismet, Rifet und Selio Bajramovic.

Rajko Dzuric