27. Januar: Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus
27. Januar: Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus
Unter dem Titel Diskriminierung, Verfolgung, Ermordung. Der nationalsozialistische Genozid an den Sinti und Roma fand dieses Jahr die Göttinger Gedenkveranstaltung für die Opfer des Nationalsozialismus statt. Wir haben die Veranstaltung mit dem Göttinger Bündnis für die Opfer des Nationalsozialismus und der KZ-Gedenkstätten Moringen organisiert. Sie fand am 27. Januar in der Halle des Alten Rathauses statt.
Am 27. Januar 1945 befreite die Rote Armee das Vernichtungslager Auschwitz. Wie viele Roma und Sinti der deutschen Barbarei bis dahin zum Opfer gefallen sind, lässt sich nicht mehr ermitteln. Offizielle Zahlen sprechen üblicherweise von bis zu 500 000. Aber auch 1,5 Millionen sind möglich.
Nach der Eröffnung durch das Bündnis hält Dietmar Sedlaczek, Leiter der KZ-Gedenkstätte Moringen einen Vortrag über die im NS dort inhaftierten Sinti-Jungen. Das so genannte Jugendschutzlager Moringen diente der Unterbringung männlicher Jugendlicher, deren Verhalten gegen die Normen der Zeit oder der NS-Ideologie verstieß, weil man sie für rassisch minderwertig hielt… Hier wurden sie täglich bei mangelhafter Ernährungen und Hygiene einer zehnstündigen Zwangsarbeit unterworfen.
Sedlaczek erinnert daran, dass es seit der Reichsgründung 1871 Gesetze gegen das „Zigeunerunwesen“ gab – die Verfolgung von Sinti und Roma hatte in Deutschland Tradition. Anhand der Biografien inhaftierter Jungen, wie etwa dem 1925 geborenen Peter Weiß, zeigt er, dass die Jungen bereits vor ihrer „Einweisung“ nach Moringen behördlichen Repressalien ausgesetzt waren. Über die genauen Gründe für ihre Verhaftung und Inhaftierung ist indes nichts bekannt. Im Zuge des Auschwitz-Erlasses wurden die Sinti-Jungen 1941 aus Moringen nach Auschwitz deportiert. Peter starb dort mit nur 17 Jahren.
Im Anschluss an seinen Vortrag verliest Sedlaczek die Namen der 21 Sinti-Jungen, die in Moringen inhaftiert waren. Von ihnen überlebte nur einer den NS-Terror.
„Es gibt unter uns kaum eine Familie, die keine Familienmitglieder verloren hat“, so die Bürgerrechtlerin und Tochter Überlebender Ilona Lagrene in ihrer bewegenden Rede. Überleben war die Ausnahme. Aufgewachsen ist Frau Lagrene in der unmittelbaren Nachkriegszeit. Das Unrecht, das Roma und Sinti angetan worden war, wurde verdrängt, der Völkermord geleugnet. Und das, obwohl die Verfolgung von Sinti und Roma, wie die der Juden – Aberkennung der bürgerlichen Rechte, Ausschluss aus der Wehrmacht, Erfassung, Ghettoisierung, Deportierung –, in aller Öffentlichkeit stattgefunden hatte. Die Täter blieben nach 1945 nicht nur unbehelligt, sondern konnten weiter Karriere machen.
Nicht von ungefähr hatten Überlebende Angst, als Angehörige der Minderheit erkannt zu werden, und vor weiteren Repressalien, denen ihre Familie ausgesetzt sein könnten. Frau Lagrene erzählt, manch ein_e Überlebende_r habe sich daher die tätowierte Häftlingsnummer entfernen lassen.
Verbandsarbeit und Bürgerrechtsbewegung der Sinti und Roma konnten sich erst in den 1970er Jahren formieren. Ilona Lagrene berichtet über die Jahrzehnte des Engagements und der Öffentlichkeitsarbeit, in denen sie für die Anerkennung des begangenen Unrechts und gegen weitere Verfolgung kämpfte und kämpft.
Obwohl die Rednerin vor der Wiederkehr des Nationalismus in Europa warnt, vor Populismus, Ausgrenzung von Minderheiten und dem Anstieg rassistisch motivierter Gewalttaten, so ist sie doch zuversichtlich. Sie glaubt an die gefestigte Demokratie, die mit diesen Herausforderungen fertig werden könne.
Weniger optimistisch ist Kenan Emini vom Roma Center Göttingen. Die aktuelle Lage der Roma aus den Staaten des ehemaligen Jugoslawiens ist Besorgnis erregend. Nachdem schon viele Roma während der ersten Kriege des zerfallenden Jugoslawiens fliehen mussten, wurden etwa 150000 Roma vertrieben, als die Nato 1999 den Kosovo mit deutscher Beteiligung bombardiert hat. Die Häuser der Vertriebenen wurden zerstört oder von der Mehrheitsbevölkerung besetzt. Sie bekommen ihr Eigentum bis heute nicht zurück.
In Deutschland haben diese Menschen immer noch oft nur den Status von Geduldeten und können daher, insbesondere nach der Erklärung der Westbalkanstaaten als „sicher“, leicht abgeschoben werden, obwohl Roma dort nicht sicher sind und daher immer wieder nach Deutschland zurück kommen. Aus dem mangelnden Aufenthaltsrecht ergibt sich zudem, dass die Betroffenen nur schwer eine Arbeit oder Ausbildungsstelle finden, da sie wegen des unsicheren Aufenthalts kaum eingestellt werden und die Behörden ihnen das Arbeiten untersagen können.
Obwohl sie de facto Kriegsgeflüchtete sind, werden sie in Deutschland als „Wirtschaftsflüchtlinge“ angesehen. Verantwortung für den Kosovokrieg wird seitens der deutschen Regierung nicht übernommen. Die meisten der heute aus Deutschland Abgeschobenen sind die Enkel und Urenkel von Opfern des Porajmos. Die Besetzung Jugoslawiens ist in Deutschland oft kaum bekannt, noch weniger bekannt ist das Vernichtungslager Jasenovac, das die Ustascha (kroatische Kollaborateure des NS-Regimes) betrieben habt.
Als Beispiel für den Umgang mit Überlebenden des Genozids hat das Roma Center ein Foto aus der Ausstellung, die wir entwickelt haben, mitgebracht: Es zeigt eine Romni, deren Mann von den Deutschen zur Zwangsarbeit verschleppt worden war. Da die Familie Zwangsarbeit und Folter des Mannes nachweisen konnte, wurde ihnen eine „Entschädigung“ zugesprochen. Die Familie konnte die Schecks über insgesamt 7000€ jedoch nicht einlösen, da sie auf den Namen des mittlerweile längst verstorbenen Mannes ausgestellt waren. Bis an sein Lebensende hat er unter den Folgen der Misshandlungen gelitten.
Ein generelles Problem sei, so Emini, dass Roma, da sie keinen Staat haben, nicht über entsprechende Repräsentant_innen verfügen, die auf politischer Ebene für die Rechte von Roma eintreten können. Dadurch hätten Roma eine politisch schwache Position. Solidarität von Seiten der Politik sei kaum vorhanden.
Es muss dringend eine Lösung für die Nachkommen des Völkermords und die Überlebenden des Kosovokriegs gefunden werden. Besonders für die in Deutschland geborenen und aufgewachsenen Roma ist es an der Zeit, endlich einen sicheren Aufenthalt zu bekommen. Das wäre eine angemessene Wiedergutmachung.