13. Juni: Gedenken an die vertriebenen Roma aus dem Kosovo im Kontext von Transitional Justice
13. Juni: Gedenken an die vertriebenen Roma aus dem Kosovo im Kontext von Transitional Justice
Der größte Teil der kosovarischen Roma lebt heute verteilt über ganz Europa, viele in Frankreich und Deutschland. Zusammen mit der Union des Rroms de l’Ex-Yougoslavie en Diaspora (URYD) und weiteren Organisationen der kosovarischen Roma-Diaspora hat das Roma Center zum 25. Jahrestag der Vertreibung der Roma aus dem Kosovo eine Gedenkveranstaltung in der französischen Stadt Troyes durchgeführt.
Bei der Veranstaltung haben Vertreter:innen der beteiligten NGOs über die Vertreibung gesprochen, die sie selbst erlebt haben. Ein weiterer Sprecher war Vanko-Stefan Rouda, der zu den Organisator:innen des Ersten Welt-Roma-Kongresses in 1971 in London gehörte und über dieses wichtige Ereignisse berichtete.
Die ethnischen Säuberungen 1999 gingen nicht nur mit erheblicher Gewalt gegen die Menschen einher, sondern auch ihr Besitz, vor allem ihre Häuser und Geschäfte, wurden geplündert und zerstört oder von Angehörigen der (kosovo-)albanischen Bevölkerung in Besitz genommen. Bis heute bekommen Roma ihren Besitz nicht zurück. Das Problem wird seitens der kosovarischen Regierung gänzlich ignoriert.
Nedžmedin Neziri von URYD zeigte eine Ausstellung, die die Zerstörung der ehemaligen Roma-Siedlungen im Kosovo visualisierte. Die Mahallas bestanden nicht, wie das heute vielfach der Fall ist, aus provisorisch gezimmerten Hütten, sondern waren normale, teils große Häuser und Geschäfte, in denen die Menschen normal gelebt und gearbeitet haben. All das existiert nicht mehr. Das ist besonders für die Roma, die abgeschoben werden, katastrophal, denn für sie gibt es keinen Ort mehr.
Eine Videobotschaft kam von Claude Kahn vom Büro des Hohen Kommissar der Vereinten Nationen für Menschenrechte (OHCHR), der einer der wenigen internationalen Expert:innen zur Vertreibung der Roma aus dem Kosovo ist. Er sprach über die Gewalt, die Roma während des Kosovokrieges und vor allem danach erlebten, als sie ab dem Juni 1999 ethnisch gesäubert wurden. Er erwähnte die Etablierung der Kosovo-Spezialkammern in Den Haag, vor denen mehrere hochkarätige Akteur:innen aus den Reihen der UÇK wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschheit angeklagt sind.
Zu den Angeklagten gehörte auch der bis zu seiner Verhaftung im Jahr 2020 amtierende kosovarische Staatspräsident Hashim Thaçi. Bis zur Einrichtung der Spezialkammern waren Anklagen gegen kosovo-albanische Kriegsverbrecher fast immer gescheitert bzw. mussten die Angeklagten freigesprochen werden. Ein wesentlicher Grund dafür war, dass die Zeug:innen immer wieder „abhanden“ kamen. Carla Del Ponte, die ehemalige Chefanklägerin des Internationalen Strafgerichtshofs für das ehemalige Jugoslawien in Den Haag, hat in ihrer Autobiografie Im Namen der Anklage daran starke Kritik geübt. Bei den Anklagen vor den Spezialkammern wird nun besonderes Augenmerk auf den Schutz der Zeug:innen gelegt. Dennoch kam es auch hier bereits zu Versuchen, die Namen von Zeug:innen zu veröffentlichen, was fatale Folgen hätte – beim ersten Prozess gegen den ehemaligen und späteren kosovarischen Premierminister Haradinaj kamen fast alle Zeugen gewaltsam ums Leben, und er musste freigesprochen werden; ein weiteres Verfahren gegen ihn endete auch wieder mit einem Freispruch, was für viel Kritik sorgte. Auch ihm wurde die Verantwortung für die ethnische Säuberung von Roma und Serb:innen zur Last gelegt.
Die Anklagen in Den Haag sind laut Claude Kahn Teil des Konzepts der Transitional Justice, welche aus fünf Komponenten besteht: das Recht auf Wahrheitsfindung; das Recht auf Reparationen für die Opfer; das Recht darauf, dass die Täter zur Rechenschaft gezogen werden und das Recht der Opfer auf einen wirksamen Rechtsbehelf; das Recht auf Memorialisierung, d.h. auf Gedenken und das Schaffen eines öffentlichen Bewusstseins für die Geschehnisse; sowie Garantien der Nichtwiederholung der Ereignisse.
Der damalige Sonderberichterstatter für die Förderung von Wahrheit, Gerechtigkeit, Wiedergutmachung und Garantien der Nichtwiederholung, Fabián Salvioli, hat der serbischen und kosovarischen Regierung jeweils unterbreitet, wie sie die Prozesse der Transitional Justice umsetzen sollten. Sein Bericht ist in 2023 erschienen. Bezüglich der Rechte der Roma aus dem Kosovo besteht erheblicher Nachholbedarf. Im Kosovo selber gibt es laut Bericht (und unserer Erfahrung) eine rein mono-ethnische Gedenkkultur seitens der (kosovo-albanischen) Mehrheitsbevölkerung. Das und die fehlende pluralistische Debatte über die Kriegsereignisse behindern laut Salvioli das gegenseitige Verständnis und fördern die soziale Spaltung im Kosovo.
Das Roma Center hat eine Präsentation zur Situation der vertriebenen Roma aus dem Kosovo in Deutschland gegeben. Dabei ging es vor allem um den aufenthaltsrechtlichen Umgang: damals wurden fast alle nach Deutschland flüchtenden Roma aus dem Kosovo nur geduldet, ein Asylverfahren wurde oftmals nicht durchgeführt. Durch den Nicht-Status der Duldung waren die Menschen viele Jahre lang Arbeitsverboten, der Residenzpflicht und dem Gutscheinsystem (welches gerade als „Bezahlkarte“ reanimiert wird) unterworfen und haben vom BAMF keine Sprach- und Integrationskurse bekommen. Eine Integration war nicht erwünscht.
Manche haben es, vor allem als die Arbeitsverbote aufgehoben wurden, trotzdem geschafft, einen Aufenthaltsstatus zu bekommen. Viele jedoch nicht, was bis heute schwerwiegende Folgen hat. Viele Flüchtenden mussten damals ihre Ausbildungen und Studien abbrechen und konnten sie in Deutschland nicht fortsetzen. Jahrelange Stagnation hinterließ ihre Spuren. Auch die Flüchtenden, die als Kinder kamen, oder die dann hier geboren wurden, wurden nicht ins Schulsystem inkludiert und wurden oftmals in sogenannte Förderschulen geschickt.
Das Damoklesschwert der Duldung, das permanent über ihren Köpfen schwebte und teilweise bis heute schwebt, steht der unbeschwerten Entwicklung der Kinder im Weg. Auch für die Erwachsenen hat das Leben in permanenter Angst nicht nur psycho-somatische Folgen, sondern erschwert z.B. auch die Arbeitssuche, wenn Arbeitgebende sehen, dass sie „jederzeit abschiebbar“ sind und die Duldungen alle paar Monate verlängert werden müssen. Viele Menschen haben schwere Kriegsverbrechen wie Vergewaltigung, Folter und die Ermordung von Angehörigen erlebt und sind traumatisiert. Diese schwerwiegenden psychischen Folgen konnten nie angemessen aufgearbeitet werden und werfen bis heute Schatten auf das Leben der Vertriebenen.
Wir sind derzeit mit dem OHCHR und anderen Internationalen Institutionen im Kontext des derzeit stattfindenden Zensus im Kosovo in Kontakt. Bei dem Zensus werden die Rechte der Roma nicht gewährleistet, die der Roma in der Diaspora, also mehr als 80 Prozent der kosovarischen Roma, werden gänzlich außen vor gelassen. Menschenrechtsinstitutionen sind dahingehend alarmiert und versuchen, auf den Kosovo einzuwirken. Wir sind nicht sehr optimistisch.
Ein französischer und ein serbischer TV-Sender waren bei unserer Gedenkveranstaltung vor Ort. Hier ein erster Bericht: