05.12.2024: Podiumsdiskussion im Grünen Salon.

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05.12.2024: Podiumsdiskussion im Grünen Salon.

Nach dem Bundes Roma Kongress 2024 und weiteren Konferenzen in Belgrad und Brüssel, haben sich deutsche Roma-Selbstorganisationen im Grünen Salon der Volksbühne zu einer Podiumsdiskussion getroffen, um die aktuelle politische Lage zu diskutieren. Eigentlich war geplant, neben der nationalen Roma-Politik vor allem auch die EU-Roma-Politik zu diskutieren. Kurz vor der Veranstaltung ist jedoch die Bundesregierung zusammengebrochen, und es gibt darüber hinaus viele Kürzungen, die vor allem viele Organisationen der post/migrantischen Roma und weitere MSO und NDO treffen.

Diese schwerwiegende Unsicherheit steht im Kontrast zu den eigentlich notwendigen Schritten hin zu einer besseren Partizipation und damit auch einer strukturellen Förderung von Roma-Organisationen. Gleichzeitig erleben wir, sowohl in Deutschland als auch international, eine starke Zunahme an Rechtsextremismus, aber auch an rassistischen Vorfällen und institutioneller Diskriminierung. Dies würde eigentlich erfordern, die Selbstorganisationen zu stärken, bedrohte Communities zu schützen und Maßnahmen gegen Rechtsextremismus zu fördern.

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Max Landero, Berliner Staatssekretär für Integration, Antidiskriminierung und Vielfalt, hat über die Bemühungen in Berlin berichtet. In Berlin gibt es mit dem entstehenden Roma-Beirat zumindest das Beispiel für ein Partizipations-Gremium auf Landesebene, das sich auch in anderen Bundesländern etablieren sollte. Berlin erhält darüber hinaus in absehbarer Zeit eine:n Antiziganismusbeauftragten. Auch hier gehört Berlin zu den wenigen Bundesländern mit entsprechendem Posten.

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Bei der Veranstaltung verkündete Kjemal Ahmed die im September 2024 erfolgte Gründung des Zentralen Wohlfahrtsverbands der Roma und Sinti Deutschland (ZWRSD). Ahmed wurde bei der Gründungsversammlung im September zum 1. Vorsitzenden gewählt. Auch die weiteren gewählten Vorstandsmitglieder, Kenan Emini und Sami Dzemailovski, waren anwesend und haben zu aktuellen Problemlagen berichtet.

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Dzemailovski sprach über die mangelhafte Aufarbeitung des nationalsozialistischen Völkermords an den Sinti und Roma Europas. Hierzulande fokussiert sich die Anerkennung des Samudaripen lediglich auf die im damaligen Deutschen Reich lebenden Sinti und Roma, während jedoch der größte Teil der Roma in den überfallenen, besetzten und kollaborierenden Gebieten ermordet wurde. Bis heute fehlt ein Bewusstsein dafür, dass Roma, die aus Jugoslawien, Moldawien, Rumänien, der Ukraine und anderen Ländern nach Deutschland fliehen oder migrieren, Nachkommen (oder gar noch Überlebende) des Holocaust sind.

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Emini, 2. Vorsitzender des Bundes Roma Verbands, sprach über die Umsetzung der EU-Roma-Strategie in Deutschland. Der Bundes Roma Verband gehörte zu den Dachorganisationen der Roma und Sinti, die von der damaligen Bundesregierung zur nationalen Umsetzung der Roma-Strategie konsultiert wurden. Ein großes Problem bleibt nach wie vor die Undurchsichtigkeit ihrer Umsetzung auf nationaler Ebene. Auch die Mittelvergabe über EU-Programme an Träger der Mehrheitsbevölkerung, die Projekte „für“ Roma umsetzen, bleibt ein Ärgernis, da diese häufig wenig zielführend sind und an den Bedarfen der Community vorbeigehen. Zudem tragen sie zur Reproduktion von Rassismus bei, da viel Geld in die „Integration“ von Roma fließt, sich ihre Situation jedoch nicht verbessert. Statt Konzepte und Methoden der Projekte in Frage zu stellen, werden Roma als nicht integrationsfähig dargestellt. Damit lassen sich dann immer wieder Mittel generieren, während die Probleme der Community bestehen bleiben. Während die Selbstorganisationen der migrantischen und neuen deutschen Roma ums finanzielle Überleben kämpfen, müssen sie dennoch ehrenamtlich Konsultations-, Beratungs- und Unterstützungsaufgaben übernehmen – für Menschen aus der Community, aber vor allen Dingen auch für Behörden, Institutionen und freie Träger.

Ein weiteres zentrales Thema bei der Veranstaltung war die für viele Roma in Deutschland nach wie vor prekäre aufenthaltsrechtliche Situation sowie auch die immer wieder erfolglosen Asylantragstellungen. Hier wurde vorgeschlagen, den Menschen in den als „sicher“ eingestuften Staaten zu raten, den Weg über Arbeitsvisa zu gehen. Wir wissen aus Erfahrung, dass die Beschaffung eines Arbeitsvisums für Roma kaum möglich ist. Zwar finden sie häufig eine Arbeit in Deutschland, jedoch bekommen sie selten einen Termin bei den Botschaften, um ein Arbeitsvisum zu beantragen und können daher die Stelle nicht antreten, da Arbeitgeber:innen nicht sechs Monate und mehr warten können, die Stelle zu besetzen. Nun wurde zwar zum 1. Juni 2024 die Westbalkanregelung dahingehend geändert, dass man nicht mehr über Antragstellungen bei den Botschaften gehen muss und das Visaverfahren auf anderem Weg geregelt wird. Jedoch haben wir auch hier bis dato keine positiven Ergebnisse zu verzeichnen. Darüber hinaus sind für manche Länder seit Monaten keine Antragstellungen mehr möglich für 2024.

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Unberührt von Arbeitsvisa bleiben jedoch jene Roma, die in den 1990er Jahren vor den Bürgerkriegen in Jugoslawien geflohen oder nach dem Kosovokrieg vertrieben worden sind und seitdem in Deutschland leben oder gar hier geboren oder aufgewachsen sind.

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Robert kam zum Beispiel als Baby nach Deutschland. Er berichtete von seinen Kämpfen um einen Aufenthalt. Obwohl er hier zur Schule gegangen ist und einen Beruf gelernt hat, durfte er nie arbeiten, weil er keine Beschäftigungserlaubnis erhalten hat. Somit konnte er seinen Lebensunterhalt nicht sichern, was eine Voraussetzung für eine Aufenthaltserlaubnis wäre. So verblieb er im Schwebezustand der Duldung und war jederzeit abschiebbar.

Er ist ein Paradebeispiel für die Folgen einer Aufenthaltsrechtspolitik, die Menschen desintegriert, statt sie zu inkludieren. Robert ist schließlich mit 27 Jahren straffällig geworden, woraus er kein Geheimnis macht.

Bekannt geworden ist sein Fall, als sich 2024 viele Menschen gegen seine Abschiebung eingesetzt haben, nachdem er in Abschiebehaft genommen worden war. Seine Abschiebung konnte zwar verhindert werden, jedoch wurde seine Eingabe an die Härtefallkommission wegen der Strafe abgelehnt. Die Härtefallkommission ist eigentlich dafür da, dass Menschen, bei denen die Rechtsmittel ausgeschöpft sind, doch noch einen Aufenthaltsstatus bekommen können. Jedoch sind die Anforderungen extrem hoch. In Roberts Fall wurde nur die Strafe gesehen, jedoch nicht, dass ein junger Mann, der seine ganze Sozialisation in Deutschland erlebt hat und entsprechend Teil der Gesellschaft ist, nie eine Chance auf ein normales Leben hatte. Nun schwebt weiterhin das Damoklesschwert der Duldung über ihm.

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Für Menschen wie Robert fordern wir seit vielen Jahren die Umsetzung des § 23 Aufenthaltsgesetz aus historischen Gründen. Eine Folge der nicht vollständigen Anerkennung des Völkermords an den Sinti und Roma Europas war, dass Roma – anders als die jüdischen Menschen aus der Sowjetunion – Anfang der 1990er Jahre keinen Aufenthalt über die §§ 23 und 24 bekommen haben. Wäre damals ein historisches Bewusstsein in der deutschen Politik vorhanden gewesen, könnten Robert und viele andere junge Menschen nun ein normales Leben führen. Noch ist jedoch nicht alles verloren, denn dieses Problem ließe sich auch heute noch beheben, würde die Politik es mit der historischen Verantwortung ernst nehmen.